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Heinrich Mueller 01 - Salztraenen

Heinrich Mueller 01 - Salztraenen

Titel: Heinrich Mueller 01 - Salztraenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Lascaux
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Welt immer so einfach wären, wie deine Worte es vermuten lassen, dann hätte doch niemand den Housi Bähler umbringen müssen.«

Samstagmorgen, 23.9.2006
    Mitten in der Nacht gellte von der Wildegg ein Schrei über das Tal, brach sich an den schroffen Flanken der Churzflue, waberte als immer stumpferes Echo den Graben hinunter in den Schachen und weckte die Menschen. Nicht zum ersten Mal.
    Es war der Hilfeschrei einer Frau, dem ein zweiter folgte, ebenso ungestüm wie der erste. Die Schläfer drehten sich verärgert einmal im Bett hin und her und nickten dann erleichtert wieder ein. Seit Monaten dasselbe Spiel! Man hatte sich daran gewöhnt wie an einen fahrplanmäßigen Güterzug.
    Der dritte Schrei kam überraschend schnell. Mittendrin brach er ab. Selbst das Echo verstummte. Es folgte die Stille des Todes. Alle schreckten auf, beunruhigt von der kalten Ruhe, die sich über den Graben legte wie ein Mantel des Vergessens. Diese plötzliche Stille war beängstigender als der lauteste Schrei.
    Müller erwachte voll bekleidet, die rauschschweren Lider ließen wenig Licht in sein Hirn. Er zog sich aus und legte sich schwer in sein Bett. Zwei Stunden später hörte er die Männer vor dem Bären , wie sie sich zur Fahrt auf die Wildegg bereit machten. Jetzt, da er hätte angezogen sein müssen, war er nackt.
    Die Männer wagten sich erst beim Morgengrauen auf die Wildegg, zu dunkel war die Nacht und zu gefährlich der Weg. Als das erste und das zweite Klopfen nicht half, drückte der Mutigste gegen die Tür, die unerwartet nachgab und den Weg frei machte ins wettergraue Bauernhaus hinein. Auch wiederholtes Rufen brachte keinen Erfolg. Aus dem Stall hörte man Kühe brüllen, die offenbar noch nicht gemolken worden waren. Da stieg der Gemeindeschreiber in den ersten Stock hinauf, wo sich die Schlafkammer befand. Er öffnete die Tür ohne anzuklopfen.
    Ihm bot sich ein Bild des Schreckens. Im Doppelbett lag der schnarchende Ernst Bär. Neben ihm, blutbesudelt, den Kopf halb abgetrennt, seine Frau Therese. Ein Beil steckte in einem Brett des Fußbodens. Zweifellos die Tatwaffe.
    Der kräftige, untersetzte Mann mit den braun gebrannten, dicken Fingern und einem fetten Bauch trug noch seine grauen Arbeitshosen und ein hellblaues, verschwitztes Unterhemd. Als man ihn endlich wachgerüttelt hatte, kam auch Kantonspolizist Blaser durch die Tür. Ernst Bär blickte aus aufgequollenen Augen auf Therese und wollte nicht begreifen, was die vielen Leute in seiner Schlafkammer wollten. Man ließ ihn nun in Ruhe, aus Angst, Spuren zu vernichten, obwohl die Fingerabdrücke des Bauern auf dem Beil wie auch auf seiner Frau zu finden sein müssten. Auch war er selber vom Kopf bis über die Schultern hinaus voller Blut.
    Dann begann Bär zu weinen, als er das ganze Ausmaß des Schlachtens im Schlafzimmer begriffen hatte. Er beteuerte seine Unschuld und erklärte, er sei gestern Abend in einem Zustand von Trunkenheit gewesen, dass er nicht einmal mehr wisse, wie er ins Bett gekommen sei. Seine Frau sei ihm dabei nicht begegnet. Er sehe sie heute Morgen zum ersten Mal seit dem gestrigen Melken wieder.
    Seine Erklärungen waren von einer derartigen Unbeholfenheit, dass sie beinahe glaubwürdig wirkten. Aber eben nur beinahe. Man brachte ihn mit vereinten Kräften – seine Gegenwehr war wegen des Alkohols, der immer noch durch seine Adern pulste, nicht allzu stark – nach Langnau ins Amtsgefängnis, wo ihn eigentlich nur das Schicksal seiner Kühe interessierte. Für seine Frau fand er keine Worte.
    Es ist ein seltsames Leben auf einer solchen Egg. Da schweigst du dich wochen-, ja monatelang an, und wenn du dann für ein Fest ins Tal runtersteigst, was der Bär Ernst durchaus öfter getan hat, gibt es ein derartiges Besäufnis, dass du am anderen Tag nicht mehr weißt, was du gesoffen und was du gesagt hast.
    Das wissen auch die Polizisten, der Blaser Hermann, der auf dem Außenposten Kurzenau ausharren würde, bis er in Pension ging, und Hans Zaugg aus Langnau, der mit 30 noch Ambitionen hatte, aber deutlich später als sein älterer Kollege am Tatort auftauchte. Kurz hatten sie noch Gelegenheit gehabt, mit Ernst Bär zu sprechen, das heißt auf ihn einzureden, da sie ihn nun auch verdächtigten, mit dem Tod des Einwägers Hans Bähler zu tun zu haben. Aber Bär schwieg zu allem beharrlich.
    Inzwischen hatte es auch Heinrich Müller geschafft. Zu Fuß hatte er den größten Teil des Weges zurückgelegt, da er mit seinem Opel die steilen

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