Heinrich Mueller 01 - Salztraenen
Böschungen ohne Vierradantrieb nicht unter die Räder brachte. Wenigstens war der Alkohol mit dem Schweiß aus seinem Körper verdunstet, als er vor dem Haus stand, das durchaus als schiefe Hexenhütte hätte durchgehen können. Obwohl es dem Biswind ausgesetzt war wie eine einsame Tanne über dem Abgrund, zeigte es keine Anzeichen, sich der Witterung mehr als nötig zu ergeben. Ein Zunder aber hätte es innert Sekunden in einen Feuerball verwandelt. Davor hatte Therese Bär immer Angst gehabt, nicht vor einem Beil im Kopf.
Müller stellte sich in die Nähe der Polizisten, um ihr Gespräch mitzuverfolgen.
»Seltsam ist«, sagte Blaser, »dass man die beiden Hunde nicht gehört hat. Das wirft den Verdacht auf Bär, denn sonst müsste der Mörder im Haus ein-und ausgegangen sein und die Tiere gut gekannt haben.«
»Und das mitten in der Nacht«, wunderte sich Zaugg, der heute wieder mal schlecht rasiert war. »Hat denn jemand den Bär nach Hause begleitet?«
»Nicht dass ich wüsste«, antwortete Blaser. Dann zeigte er auf den Horizont, auf einen schroffen Berg.
Die Schrecknadel ist ein Felssolitär, der sich bedrohlich, aber zugleich schützend über der Wildenalp erhebt. 100 Meter nur, aber schroff abweisend und kaum zu bezwingen. Gerade deshalb zieht er die Extremkletterer an, für die ein kleiner, hübsch eingezäunter Friedhof am Fuß der Schrecknadelflue eingerichtet war.
Um die Schrecknadel ranken sich Gerüchte und Geschichten, Sagen und Ammenmärchen. Die älteste Überlieferung besagt, dass sich der Teufel, von einem schlauen Bauern hereingelegt, aus Wut in den Felsen verwandelt hatte. »Hol’s der Teufel«, sagten denn auch die Leute, wenn wieder einer unten am Berg lag.
Der damals da lag, war aber kein Bergsteiger, sondern einer aus dem Dorf. Die Leute zogen ihre Kopfbedeckung aus, als sie seinen Namen hörten, und keiner sprach die alte Verwünschung aus.
»Erinnerst du dich an den Fall Röthlisberger Willy?«, fragte Blaser.
»Nur schwach. War das nicht der Senn, den man damals gefunden hat? Die Untersuchung wurde eingestellt, weil man davon ausging, eine Kuh habe ihn über die Fluh gestoßen.«
»Das ist richtig. Allerdings blieb damals schon ein gewisser Verdacht, der eher von menschlicher Nachhilfe ausging. Aber es ließ sich nichts beweisen. Ich fürchte, wir müssen auch diesen Fall wieder aufnehmen. Einer wie der Bär, der sich mit Tieren gut auskennt, hätte die Kühe in Angst und Schrecken versetzen können. Das ist damals niemandem in den Sinn gekommen.«
»Aber irgendetwas stimmt nicht«, mischte sich Müller ein. »Es ist, als ob die Dramaturgie durcheinander geraten wäre. Erst die Bäuerin, dann der Einwäger. So hätten wir unseren Schuldigen gehabt. Nun ist es aber genau umgekehrt. Wenn der Tod des Hans Bähler mit einem Ehestreit der beiden Bär in Zusammenhang stünde, dann hätte die Frau gewarnt sein müssen und sich nicht abschlachten lassen wie ein Vieh.«
»Der Spurenerkennungsdienst aus Bern muss noch seinen Rausch ausschlafen, aber der Herr Detektiv ist schon da«, seufzte Blaser, der Heinrich gestern in der Kneipe gesehen hatte.
»Gestatten, Müller Heinrich, Detektei Aubois und Müller «, sagte er zu Zaugg gewandt, »besser bekannt als Henry Miller.«
»Wie der amerikanische Pornoschriftsteller?«, fragte Blaser sarkastisch.
»Ja, genau.«
»Woher kennst du denn amerikanische Pornoschriftsteller?«, wunderte sich Zaugg.
»Das ist eine lange Geschichte«, sagte der Ältere. »Sie beginnt in den Siebzigerjahren in Bern. Dort habe ich meine Ausbildung gemacht, jung, unerfahren, leider mit kurzen Haaren.«
»Sonst wärst du bei den Hippies gelandet und nicht bei der Polizei.« Zaugg lachte.
»Aber die Jahre damals waren busenbetont. Die Mädchen sonnten sich halb nackt im Marzili«, Blasers Augen begannen in einem irritierenden Farbton zu leuchten, als er sich daran erinnerte. »Und ich saß mit offenem Mund daneben und hatte als kurz geschorener Polizeiaspirant keine Chance bei ihnen. Die Eidgenössisch-Demokratische Union, deine christlich-fundamentalistische Partei, hat sogar eine Initiative gegen das Oben-ohne-Baden lanciert, ist aber in der Abstimmung gescheitert.«
Der Junge erblasste, man wusste nicht, war es aus Schreck oder aus Erregung.
Müller seufzte und meinte: »Heute ist die Zeit arschbetont und niemand macht eine Initiative gegen Jennifer Lopez, Hüfthosen, Kleider von Miss Sixty, Strings oder Arschgeweih-Tattoos. Nicht einmal die EDU, weil man
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