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Heinrich Mueller 01 - Salztraenen

Heinrich Mueller 01 - Salztraenen

Titel: Heinrich Mueller 01 - Salztraenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Lascaux
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des Erzählens abhanden kommt, geht das Wissen der Welt verloren. Denkt bloß an die ältesten verfügbaren Erkenntnisse, dann bestätigt sich dieses Phänomen. Es sind Weltschöpfungsmythen, Vorstellungen von Himmel und Erde, Erklärungen für Vorgänge in der Natur, für Götter und Religionen, es sind Regeln und Tabus, Märchen und Sagen. Sobald der Mensch die Schrift erfunden hatte, wurden die damals wichtigsten Geschichten aufgeschrieben, gesammelt und manchmal Jahrhunderte später zu großen Werken zusammengefasst.«
    »Wie die Bibel«, bestätigte der Wirt zwischen zwei Bissen Euter. Mit langen, aber etwas steifen Fingern schob er ein Stück Brot nach. Seine Augen flackerten unruhig.
    »Genau. Aber diese religiösen Sammelbände entstanden in einer Zeit, als Mönche das Monopol über das Schreiben besaßen. Viele andere Geschichten wurden nur aus Interesse darüber dokumentiert, was die Konvertierten oder zum eigenen Glauben Gezwungenen früher geglaubt hatten. So sind einige Zaubersprüche und Heldensagen erhalten geblieben, sehr vieles aber ist verloren gegangen. Vielleicht versteckt sich einiges auch hinter den religiösen Geschichten. Die Atomkraftwerkbauer hatten vor einigen Jahren das Problem anzugehen, wie man radioaktive Endlager für die Menschheit in den nächsten zehntausend Jahren sichern könnte. In der Analyse dessen, was wir über denselben Zeitraum wissen, wenn wir in der Geschichte zurückgehen, kamen sie auf zwei Möglichkeiten: steinerne Megabauwerke wie die Pyramiden oder religiöse Tabus. Alle anderen Datenträger überstehen kaum mehr als ein paar Jahrzehnte.«
    »Ein neues religiöses Tabu dürfte aber schwierig einzuführen sein«, wandte Fritz Bär ein, der auch schon mit schwerer Zunge sprach, dabei aber die Augen so zusammenkniff, dass die obere Zahnreihe im geöffneten Mund sichtbar wurde.
    »Das ist richtig. Dennoch gibt es kaum andere Chancen, Informationen über so lange Zeit weiterzugeben.«
    »Im Prinzip ist also das vorausgedacht, was Erich von Däniken zurückdenkt«, gab Ueli Graber zu bedenken, und seine groben Runzeln wurden vom Sinnieren noch tiefer.
    Alle waren überrascht, dass er diesen Mann ins Gespräch einbaute.
    »Wie meinst du das?«, fragte sein Cousin.
    »Ich war doch mit meiner Frau vor zwei Monaten im Mystery Park. Da wurden ein paar Fragen gestellt, die ich seither nicht mehr aus dem Kopf gebracht habe. Von Däniken geht davon aus, dass Außerirdische in vorgeschichtlicher Zeit die Erde besucht und uns Informationen zurückgelassen haben, zum Beispiel in Form von Steinkreisen, die das Sonnensystem abbilden. Wenn wir diese Dokumente finden und entschlüsseln, sind wir auf der Spur der Verursacher. Die Atomwissenschaftler machen nun dasselbe in umgekehrter Richtung. Das heißt nach vorne.«
    »So ist es«, bestätigte Müller. »Das Dumme ist nur, dass viele Menschen wortwörtlich an diese Geschichten glauben wollen, auch wenn sie in einer Zeit entstanden sind, von der sie keine Ahnung haben.«
    »Statt dem tieferen Kern auf den Grund zu gehen?«
    »Oder sie einfach als das zu genießen, was sie auch sind: Gut erzählte Storys.«
    »Offenbar gibt es irgendwo ein Loch in der Welt, durch das die Zeit fällt«, meinte Heinrich Stunden später in seinem Zimmer, in das ihn Nicole zu einem letzten Umtrunk begleitet hatte.
    »Bei mir ist es eher das Geld, das dort verschwindet«, seufzte sie.
    »Und manchmal die Lust«, sagte Müller.
    »Die Lust auf Sex? Und die Liebe?«
    »Kommt vor. Aber eigentlich die Lust auf das Leben. Das hängt zusammen mit der verlorenen Zeit. Das Älterwerden bringt viele Beschwerlichkeiten mit sich und nur wenige Freuden.«
    »Dann berichte mal von den Freuden, damit ich mich nicht ängstigen muss.« Sie legte den müden Kopf auf seine Knie, er fuhr mit dem Finger die Zickzacklinie ihres Scheitels entlang.
    »Es gibt einem eine gewisse Unabhängigkeit, weil man erfahren hat, dass einem selten etwas Schlimmes passiert, mit Ausnahme gesundheitlicher Beschwerden natürlich. Man hat nicht mehr das Gefühl, alles mitmachen zu müssen, man leidet nicht darunter, wenn man nicht überall dabei sein kann. Es gibt weniger Zwänge.«
    »Und in den Beziehungen?«
    »Da wachsen die Ängste, und man lässt sich nur ungern auf eine Person ein, mit der man vielleicht dieselben Erfahrungen noch einmal machen müsste, die man bereits hinter sich glaubt.«
    »Nun«, seufzte sie, »dann darf ich wohl wieder mal was ignorieren. Aber wenn die Erklärungen in der

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