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Heinrich Mueller 04 - Gnadenbrot

Heinrich Mueller 04 - Gnadenbrot

Titel: Heinrich Mueller 04 - Gnadenbrot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Lascaux
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nebenan ist 1797 Albert Bitzius [9] zur Welt gekommen«, erklärte Heinrich Müller. »515 wird Muratum als burgundisches Königsgut erstmals erwähnt, der Zähringerherzog Berchtold IV. gründet die mittelalterliche Stadt zwischen 1179 und 1191, bevor man sie im 13. Jahrhundert zur befestigten Siedlung ausbaut. Nachdem Murten 1416 vollständig abgebrannt ist, wird es nach dem alten Plan wieder errichtet, so wie wir es heute noch kennen.« Dann suchten sie hinter der Kirche die steile Holztreppe zum Wehrgang der großenteils erhaltenen Stadtmauer mit den schmalen, knarrenden Holzplanken neben Schießscharten und Wehrtürmen. Vor dem Abgrund auf Stadtseite schützte sie nur ein Holzgeländer. Sie stießen bis zum Turm über dem Mittleren Tor bei der Kreuzgasse vor, auf dem sie noch weiter in die Turmstube hochsteigen konnten. Von dort oben hatten sie einen ungestörten Rundblick vom Jura über den Mont Vully, den Murtensee und das Städtchen, das vor der Juragewässerkorrektion von 1868 bis 1878 noch direkt am Wasser gelegen hatte, bis hinüber zu den Hügeln, auf denen sich das kriegerische Geschehen vor mehr als 500 Jahren abgespielt hatte.
    Murten war vollständig von den Truppen Karls des Kühnen eingeschlossen gewesen. Die Belagerung hatte die darauf vorbereitete Besatzung nicht demoralisieren können, da es nicht gelang, den Nachschub über den Seeweg zu unterbinden. Heinrich setzte seine Geschichtsstunde fort, diesmal mit deutlich mehr Anschauungsmaterial.
    »Ihr seht dieses Wäldchen, genannt Bois Domingue, mit der schmalen Lichtung zuoberst auf dem Hügel? Damals standen dort keine Bäume, sondern das Hauptquartier des burgundischen Herzogs, von wo er das ganze Geschehen überblicken konnte. Links oben Richtung Salvenach gab es eine behelfsmäßig verstärkte Hecke, den Grünhag, vermeintlich geschützt durch eine kleine Schlucht, den Burggraben. Die Eidgenossen versammelten sich dahinter, am Ende mit etwa 24.000 Mann, und täuschten einen Angriff nach dem anderen vor, bis die Burgunder mit der Abwehrformierung zögerten. Sie waren mit 22.000 Leuten fast gleich stark, aber nur etwa die Hälfte von ihnen stand unter Waffen. Am Mittag des 22. Juni 1476, nach einem Tag und einer Nacht mit Starkregen, kämpften sich die eidgenössischen Truppen, geleitet von den ersten Sonnenstrahlen, durch Grünhag und Burggraben und überrannten die Burgunder, die nicht mehr zur Gegenwehr fähig waren.«
    ›Und also ward abermalss hertzog Karolus von Burgund von den fromen Eitgnossen und iren helffern vertriben und veriagt … Dargegen aber was es erschlagner lüten halb zuo Granson ein schimpf gegen denen zuo Murten, wann zuo Murten kamend uff den tag ob drissigtusend mannen umb. Darumb gieng dazemal ein red uss, er verluore zuo Elikurt das hertz, zuo Granson das guot und er, zuo Murten die lütt, und am letsten zuo Nanse sin lib … Es kamend ouch uff der Eitgenossen sitten zuo Murten by fünfftzig mannen umb, Gott gäbe inen allen die ewigen ruow.‹ [10]
     
    »Dieses Abschlachten wollt ihr als Film nachstellen?«, fragte Leonie, als sie im Restaurant Berntor bei einem halben weißen Vully saßen. Die Kneipe war spärlich besetzt, im Hintergrund tranken drei nicht mehr taufrische Herren ihr Nachmittagsbier. Einer von ihnen besaß ein Tattoo, das noch aus einer Zeit stammte, als man Handwerker statt Künstler an seine Haut ließ. Wirre, magische Relikte, Muster ohne Sinnzusammenhang bedeckten die Oberarme, zerquetschte Herzen und zwei Namen, an deren Trägerinnen sich der Mann wohl lieber nicht mehr erinnerte.
    »Ihr sollt ja nicht am Kampfgeschehen teilnehmen«, erklärte Heinrich, »sondern Marketenderinnen spielen, burgundische Lagermädchen, die zur Kriegsbeute der Eidgenossen werden, weil in ihren Gewalthaufen keine Frauen zu finden waren.«
    »Soldatenhuren also«, stellte Nicole fest.
    »Na, na,«, beschwichtigte Heinrich, »der Film hört ja auf, bevor ihr in den Besitz der Sieger kommt.«
    »Macht wohl keinen Unterschied«, sagte Leonie, »ob sie bei den einen oder bei den andern gelebt haben.«
    »Stets auf Seiten der Sieger«, krächzte Nicole etwas zu laut, sodass sie für einen Augenblick die Aufmerksamkeit aller im Lokal auf sich zog.
    »Hast du das Panorama-Rundbild der Schlacht von Murten gesehen?«, fragte Leonie. »Man streitet darüber, ob es hier wieder eingerichtet werden oder ob es ins Historische Museum Bern kommen soll.«
    »1894 gemalt«, las Nicole in einer Broschüre, die sie auf dem

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