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Heinrich Mueller 04 - Gnadenbrot

Heinrich Mueller 04 - Gnadenbrot

Titel: Heinrich Mueller 04 - Gnadenbrot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Lascaux
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den Merkmalen des Tatbestands das Verhalten herauslesen. Thomas Müller, Profiler und Kriminalpsychologe, hat mit dieser Methode schon mehrfach Erfolge gefeiert.«
    »Das waren doch stets Serientäter. Da liegen Tatortmerkmale vor, die man vergleichen kann«, widersprach der Detektiv, »bei einem einzelnen Mord ist das beinahe unmöglich.«
    »Hoffen wir trotzdem, dass es bei dieser einen Tat bleibt«, sagte Spring. »Dein Namensvetter gibt außerdem zu bedenken, dass die größten Irrtümer in vorgefassten Meinungen liegen, dass wir zum Beispiel glauben, bei einem Menschen von außen zu erkennen, wozu er fähig ist oder auch nicht. Und die irrige Meinung, dass das Böse weit weg sei. Der entlegenste Punkt unserer Überlegungen wäre, dass ein Fremder Thomas Däppen aus finanziellen Gründen erschossen und sich dafür ausgerechnet das Filmset ausgesucht hat.«
    »Am andern Ende der Skala läge folgendermaßen die Vermutung, dass er sein Opfer gut gekannt hat und über ein Motiv verfügt, das wir allerdings nicht kennen.«
    »Noch nicht«, erwiderte Bernhard Spring. »Auf jeden Fall sollten wir an diesem Ende anfangen, den Wollknäuel aufzurollen. Delia Zimmermann ist unsere erste Kandidatin. Du stellst endlich den Kontakt zu ihr her. Aber möglichst bald!«
    »Mach ich«, bestätigte Heinrich. »Wie geht’s in der Firma?«
    »Ach«, seufzte Bernhard. »Der ganze Papierkram hält einen vom Arbeiten ab, manchmal fast nicht zum Aushalten. Anwesenheitspflicht, Fortbildungspflicht, Erfolgsquoten. Wie wenn wir uns die Fälle selber aussuchen könnten, um anschließend einen Bonus rauszuholen. Und was machen sie mit dem ergatterten Geld? Sie streichen die Kantine hellrosa. Hellrosa! Seinen nächsten Film kann Sacha Baron Cohen bei uns in der Mensa drehen.«
    »Eine Gesellschaft ist ein seltsames Konstrukt«, sagte Heinrich. »An allen ungeliebten Stellen sitzen Menschen, deren wichtigstes Anliegen es ist, alles zu nivellieren, und zwar ausgehend von ihrem eigenen Lebensentwurf. Diese Gleichschaltung wird später durch sogenannte Qualitätsstandards überprüft, die nichts anderes nachfragen als die eingeschränkte Wahrnehmung der Fragenden selbst. Alles, was sich außerhalb dieser Normen bewegt, wird pathologisiert, ruhig gestellt, ausgesondert. Und gleichzeitig gibt sich jeder als originelles Individuum, das sich von allen anderen unterscheiden will, indem es Dinge kauft, die gerade in Mode sind. Die Mode aber hat jemand gemacht, der seinen eigenen Lebensentwurf als allein richtig betrachtet.«
     
    Als Leonie endlich die Bar aufgeräumt hatte und schlafen gehen wollte, hörte sie aus Henrys Wohnung seltsame Klänge. Die Stimme eines kleinen Mädchens sagte: »Grüß Gott, tritt ein, bring Glück herein.« Worauf ein ruhiges Klavier begann, später Schlagzeug und Orgel und die spitzen Schreie einer Hendrix-Gitarre. Daraufhin setze einer transsilvanischen Prozession gleich ein schleppender Orgelsound ein. Schließlich übernahm die verzerrte Gitarre die Führung und spielte die Leitmelodie in den höchsten Tönen wie diejenige eines Sängers.
    Leonie war hinter Henry ins Zimmer getreten, als die Mischung von Jimi Hendrix, Deep Purple und Pink Floyd sich dem Ende neigte. Er nahm die Nadel von der Single mit dem roten Blick-Label und drehte sich um, erschrak kurz über den unerwarteten Besuch und hieß Leonie sich neben ihn aufs Bett zu setzen.
    »The Shiver«, sagte er, »eine Band aus St. Gallen, 1969, da war ich 14 und schwer beeindruckt. Sie hatten eine Langspielplatte mit dem Titel ›Walpurgis‹ und einem Umschlag von H. R. Giger. Konnte ich mir damals nicht leisten. Aber die Single ist ein Sammlerstück.«
    »Jugenderinnerungen?«, fragte Leonie und streichelte ihm das spärlicher gewordene Haar.
    »Ja. Ich begann mir die Haare wachsen zu lassen, was zu ersten Streitereien mit dem Vater führte. Lange Abende im Jugendzentrum, wo ich die Musiker kennen gelernt habe. Nach Shiver gründete der Gitarrist Dany Rühle die Deaf, später dann Island. Deaf fand ich dermaßen toll, dass ich einen Fanklub gründen wollte. Davon nahm ich allerdings Abstand, nachdem mir Güge Meier, der Schlagzeuger der Band, für diesen Fall Prügel angedroht hatte.«
    »Prügel für die Gründung eines Fanklubs?« Leonie wunderte sich.
    Henry lachte. »Das waren andere Zeiten. Musik war eine ernste Sache, es ging um Glaubwürdigkeit. Da war ein Fanklub von jugendlichen Witzbolden nicht gerade das, was man sich als seriöse Band wünschte. Man

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