Heinrich Mueller 04 - Gnadenbrot
verwendet«, zitierte Heinrich, nun ganz Detektiv, »und später zur Herstellung von LSD.«
»Du bist aber ziemlich weit vom Getreide abgekommen.«
»Ich interessiere mich eben für alles, was man daraus machen kann. Malz zum Beispiel, aus dem wiederum Bier oder Whisky entsteht. Durchaus wandlungsfähige Gräser. Wenn man dem Bier noch ein wenig Bilsenkraut beimischt, entfaltet es auch eine halluzinogene Wirkung, die schwer zu kontrollieren ist.«
»Jetzt steckst du schon wieder im Mittelalter«, sagte Leonie vorwurfsvoll, »das scheint eine Zeit mit besonders weit verbreiteter Drogensucht gewesen zu sein.«
»Ob gewollt oder ungewollt …«
»Wieso interessiert dich das Getreide dermaßen?«, fragte sie.
»Nun, vieles in unserem Fall, von dem wir noch nicht wissen, wie weit er gesteckt ist, hängt damit zusammen, Terminhandel, Getreidefelder im Seeland. Das Mittelland von Genf bis Schaffhausen ist nach wie vor das Hauptanbaugebiet, ein Viertel der Brotgetreidefläche entfällt auf den Kanton Waadt. Deswegen waren die Berner bereits im späten Mittelalter scharf auf dieses Gebiet.«
»Und wegen dem Wein«, ergänzte Leonie. »Wie viel Getreide wird in der Schweiz produziert?«
»Gut eine Million Tonnen, die Hälfte davon Brot, die andere Futtergetreide. Jeder Schweizer isst im Jahr durchschnittlich etwa 50 Kilogramm Brot-und Backwaren, das ist ungefähr gleich viel wie Fleisch. Noch einmal eine Viertelmillion Tonnen Getreide wird importiert, hauptsächlich Hartweizen für die Teigwarenproduktion, der aus klimatischen Gründen nicht bei uns angebaut wird.«
»Und welche Sorten kommen vor?«
»Weizen, Roggen, Dinkel, Gerste, Mais, Triticale, Hafer und Emmer.«
Die Sonne brannte vom Himmel, die Hitze staute sich in den Straßen und die feuchte Luft provozierte das nächste Gewitter. Unter der Pergola im Bauch & Kopf saß man gemütlich, beeinträchtigt höchstens vom Straßenlärm und vom gelegentlichen Quietschen eines Trams. Sogar Baron Biber war in traumreichen Schlaf gesunken, seine weißen Pfötchen zuckten gelegentlich und die Barthaare zitterten bei den Erinnerungen an aufregende Jagdszenen.
»Wir sind an einem toten Punkt angelangt«, sagte Bernhard Spring zu Heinrich Müller. »Es liegen zwar alle Fakten vor, der Tatort wurde untersucht, die Virtopsy erbrachte die gewünschten Resultate, es gibt einige wenige Verbindungen unter den Akteuren. Aber letztlich fehlt uns alles zum erfolgreichen Abschluss des Falles: Täter, Motiv, eine gelungene Fahndung.«
»Delia Zimmermann reagiert nicht«, ergänzte Heinrich. »Sie geht nicht ans Telefon, das Handy läuft auf Combox, sie öffnet die Tür nicht.«
»Mir ist da zu wenig Fleisch am Knochen bei deiner Frau Zimmermann.«
»Sag das nicht«, frotzelte Heinrich.
»Nicht wörtlich. Aber ich sehe einfach den Zusammenhang zwischen einem alten Teppich, dem Film, der Getreidespekulation und einem Mord nicht.«
»Und wenn’s um Gentechnologie ginge? Unerlaubtes Aussäen von verändertem Saatgut, Spekulationen um die Herstellerfirma?«
»Alles an den Haaren herbeigezogen. Mir fehlt die sichtbare kriminelle Energie bei einem der Beteiligten und der Anlass dazu«, nörgelte Bernhard.
»Na ja, der Hirnforscher Gerhard Roth hat festgestellt, dass Gewaltbereitschaft in den Genen angelegt ist und durch eine frühe psychische Traumatisierung ausgelöst wird und dass man deswegen für sein Handeln nur teilweise zur Verantwortung gezogen werden kann. Ein deprimierender Gedanke. Es gäbe demnach so etwas wie das Böse an sich, auch wenn das kein wissenschaftlicher Begriff ist.«
»Das würde bedeuten, dass der Täter kein eigentliches Motiv für sein Handeln braucht. Beunruhigend. Ich hoffe eher, dass Terrie Moffitt Recht behält, eine Professorin für Klinische Psychologie, die sagt, dass nicht die Gene das Verhalten eines Menschen bestimmen, sondern dass sie darüber entscheiden, wie empfänglich ein Mensch auf Umwelteinflüsse reagiert.«
»Also der alte Streit zwischen Biologie und Soziologie«, seufzte Heinrich Müller. »Und wie bitte soll uns das weiterhelfen? Bis alle Verdächtigen die entsprechenden Tests absolviert haben und diese ausgewertet sind, ist der Täter verstorben.«
»Das Einzige, womit wir arbeiten können«, sagte der Störfahnder, »sind die Befunde vom Tatort, die uns einen Hinweis auf das Verhalten des Täters geben. Was genau hat er gemacht? Wie hat er es gemacht? Gibt es Anzeichen dafür, dass er es wieder tun wird? Wir müssen aus
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