Heinrich Mueller 04 - Gnadenbrot
war ja keine Teenieband.«
»Hast du eigentlich auch Musik gespielt?«, fragte seine Freundin.
»Meine eigene musikalische Karriere verlief wenig harmonisch«, erzählte Henry. »Alles begann in der Primarschule, als ich in der zweiten Klasse einen Auftritt als Josef beim Krippenspiel hatte.«
»Ausgerechnet!«
»Lach nur. Ich sollte Blockflöte spielen und habe einen Ton derart jämmerlich daneben gesetzt, dass es sogar mir aufgefallen ist. Die Erwachsenen hingegen lobten mich über den grünen Klee. Ich dachte: Was seid ihr für Heuchler und Lügner. Danach habe ich die Blockflöte in die Ecke gestellt und nie mehr ein klassisches Instrument angefasst.«
»Was heißt denn das nun wieder?«
»Einmal brachte mir eine Klassenkameradin, die eher mehr für mich übrig hatte, als ich damals selber geglaubt habe, eine Zebrafelltrommel aus einem afrikanischen Land mit, ich glaube aus Kenia. Ich besitze sie immer noch. Früher habe ich manchmal mit den Händen darauf herumgehämmert und den Mottenkugeln im Innern das Echo meines schrägen Rhythmus aufgedrängt.
Später spielte ich einen Minisynthesizer, den mir ein technisch begabter Kumpel gebaut hatte und dem man mit den Fingerkuppen ein paar singende Töne entlocken konnte. Außerdem verfügte ich über mehrere Maultrommeln, mit denen ich zumindest eine Freundin beeindruckte, wenn ich ›Black Night‹ von Deep Purple aus meinem Mund presste.«
»Das hätte ich gerne gehört«, sagte Leonie und lachte.
»Gut, dass damals noch keine Möglichkeit bestand, den ganzen Schwachsinn aufzunehmen und im Internet breitzutreten. Außerdem geht es ja für Dilettanten beim Spielen von Instrumenten selten um Musik, sondern um das Verführen von Frauen. Deswegen wollten wir im Gymnasium auch eine Band gründen. Meine sollte Gondwana heißen wie der Urkontinent. Einen Umschlag für die erste Single hatte ich bereits gezeichnet. Jungsträume!
Ein Kollege spielte in einer Schülerband namens Introspektion. Da siehst du den Unterschied. Ich wollte Spaß haben, Rock ’n’ Roll und das bisschen Sex, das man damals im Verborgenen haben konnte. Er wollte eine ernsthafte Band, die war derart von Ernsthaftigkeit durchdrungen, dass er mir sogar den Namen erklären musste. Mit dem Begriff der Selbstbeobachtung konnte ich allerdings ebenso wenig anfangen.«
»Das wird heute nicht viel anders sein«, sagte Leonie.
»Später, als Abschluss meiner musikalischen Karriere sozusagen, habe ich ab und zu das Mischpult der Glueams, einer Berner Punkband bedient, und war der Manager, auch von der Nachfolgegruppe Grauzone.«
»Wow. Das sind doch die mit dem ›Eisbär‹. Damit hättest du sogar mich beeindruckt.«
»Na ja«, druckste Henry herum, »ich bin als Manager abgesprungen, bevor sie berühmt geworden sind.«
Donnerstag, 2. Juli 2009
Dass Delia Zimmermann eines unnatürlichen Todes sterben würde, war beschlossene Sache. Die Frage war nur, wann.
Mit diesem unschönen Gedanken erwachte Heinrich Müller. Er hatte weitere Erkundigungen über seine Schlossherrin eingezogen. Sie war offenbar kein unbeschriebenes Blatt und des Öfteren auf den Skandalseiten der Lokalpresse gelandet, was dem Detektiv entgangen war, da er diese Nachrichten nicht zur Kenntnis nahm.
Als er sich bei den Gästen von Bauch & Kopf nach Delia Zimmermann erkundigte, erntete er Qualifikationen wie »Voralpengeiß«, und »Ego-Zicke«. In einer kräftig blondierten Form hatte die Frau vor einigen Jahren als älteste Teilnehmerin vergeblich versucht, die Miss Bern Wahl zu gewinnen. Im Gratis-Anzeiger rutschte sie ab und zu in die Cervelat-Promi-Spalte, wenn sie wieder mal den Mann an ihrer Seite wechselte, zumeist Zweitklasse-Angeber aus der Sportwelt. SMS und E-Mails zwischen den jeweiligen Sternguckern wurden proportional zur abnehmenden Zuneigung gehässiger und arteten nicht selten in wüsten Beschimpfungen aus, die wiederum halbe Zeitungsspalten füllten. Zugutehalten konnte man ihr lediglich, dass sie noch nie an einem Gesangswettbewerb teilgenommen hatte.
In den letzten beiden Jahren war es allerdings ruhiger geworden um Delia Zimmermann. Sie soll sich in einen TV-Astrologen verliebt haben, das habe ihr Leben stabilisiert, bis auch diese Beziehung in die Brüche ging. War diese Teppichgeschichte nun die Gelegenheit, die Dame erneut in die Schlagzeilen zu katapultieren?
Heinrich Müller hegte Zweifel, denn wenn Delia Zimmermann an Publizität gelegen war, hätte sie die Geschichte längst in der
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