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Heinrich Mueller 04 - Gnadenbrot

Heinrich Mueller 04 - Gnadenbrot

Titel: Heinrich Mueller 04 - Gnadenbrot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Lascaux
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zu kontrollieren war. Man konnte sich lebhaft vorstellen, dass Pierre Roth auf dem Filmset von so viel Sinnlichkeit restlos überfordert war und sich lieber ins Schlachtgetümmel warf. Eventuell hätte ja ein Teil eines flämischen Bildteppichs gereicht, die Wildkatze unter Kontrolle zu bringen.
    Ganz im Gegensatz dazu die kühle Braunhaarige, die nun an der Reihe war. Linda Schwerzmann konnte man sich in ihrer Zierlichkeit nur schwer als Marketenderin vorstellen. Sie war von einer unerklärlichen Schlankheit, bei der man das Gefühl nicht loswurde, der Rücken gehe direkt in die Beine über. Überdies war sie ein Mädchen, das den Spargel quer essen konnte. Und ihre Nasenspitze bewegte sich bei fast jedem Wort mit dem Mund mit, der allerdings außer Höflichkeiten zum Fall nichts beizutragen wusste. Im Gegenteil, sie begann zu schluchzen, als Leonie mit einem Tablett voller Getränke in die Gaststube trat, die Frau aufmerksam musterte und sagte: »Du bist das!«
    Die Angesprochene schaute auf, lächelte, als sie die Wirtin erkannte, und meinte: »Aber heute bitte kein Chili con Carne.«
    Beat Tschanz hatte sich in die Rolle des Adrian von Bubenberg gedrängt, obwohl er mit seinen schwarzen Kraushaaren und dem Dreitagebart, der ihm nicht auszureden war, nicht auf die Figur passte. Doch er versprach, das reichlich benötigte Filmblut zu einem Spezialpreis zu liefern, und bekam daraufhin die Rolle seines Lebens.
    »Alles, was an Körperausscheidungen auf der Bühne oder beim Film benötigt wird, stellt unsere Firma her«, erklärte Tschanz, »seien es Exkremente, Erbrochenes, Sperma oder Blut. Von Letzterem gibt es über 20 Sorten, aber hier brauchen wir vor allem dünnflüssiges, das schnell färbt und große Flecken hinterlässt. Nur bei Nahaufnahmen verwenden wir eine andere Art. Aber«, schloss er seinen Vortrag, »beim Toten haben Sie wohl keine unserer Blutkapseln gefunden.«
    »Die stecken auch selten im Hirn«, meinte der Polizist müde und sagte zu Heinrich und Nicole: »Wer solche Freunde hat, braucht keine Feinde.«
    Als Letzter erschien ein jovialer Mensch um die Fünfzig mit grau melierten Haaren, freundlichen Augen und einem verschmitzten Lächeln.
    »Gestatten, Herzog Karl der Kühne.«
    Er schüttelte jedem die Hand.
    Allerdings wusste er wie jeder Herrscher über das Leben seiner Untergebenen nicht Bescheid.
     

Dienstag, 30. Juni 2009
    Die Dame von bofrost, die Heinrich Müller am frühen Morgen aus dem Schlaf riss, hatte eine angenehme, unterkühlte Stimme. Nachdem er den Hörer aufgelegt hatte, versuchte er sich diese Frau vorzustellen. Bestimmt jung, obwohl sie auch mittleren Alters sein konnte, resolut. Haarfarbe, Körpergröße, Figur?
    Er merkte, dass er nie besonders darauf geachtet hatte, ob die Stimme mit seinen Vorstellungen des Menschen in Zusammenhang stand und wie viel Übereinstimmung es geben mochte. Da hatte er in den letzten Jahren ein Forschungsgebiet übersehen.
     
    »Wir haben es also mit Getreide zu tun«, sagte Heinrich, als er in der Gaststube beim Frühstück saß und eine Packung Gerber Gala Streichkäse, dessen säuerlichen Geschmack er mit seiner Kindheit und mit Besuchen bei seiner Großmutter im Thurgau verband, auf sein Roggenbrot strich. Aber selbst Gerber war mit den Jahren milder geworden. Müller studierte Unterlagen, die er für sich selbst referierte.
    Seit 6.000 Jahren wird in Mitteleuropa Getreide angebaut. Den ältesten Brotlaib Europas hat man bei den Twanner Pfahlbauern gefunden, einen unscheinbaren schwarzen Klumpen, der einmal ein Halbpfünder aus Gersten-und Weizenmehl gewesen ist, um 3.500 v. Chr. gebacken.
    »Was murmelst du vor dich hin?«, fragte Leonie, die eben hinter den Tresen getreten war.
    »Ich habe nur gesagt, das Roggenbrot sei so hart wie das 5.000 Jahre alte Urbrötchen vom Bielersee.«
    »Ich kann’s dir ja in Milch einweichen, wenn es dein Gebiss nicht mehr erträgt«, stellte sie nüchtern fest.
    »Das gefährdet unsere Beziehung«, sagte Heinrich, »wenn du mich zum Greis erklärst.«
    »Im Mittelalter gab’s doch diesen Mutterkornpilz …«
    »Den gibt’s heute noch«, brummelte Heinrich, »nur wird er chemisch bekämpft.«
    »… auf dem Roggen«, fuhr Leonie ungerührt weiter. »Der hat damals den Veitstanz oder das Antoniusfeuer ausgelöst. Hoffentlich ist im Brot etwas davon drin, ein wenig Tanzwut könnte dir nicht schaden.«
    »Bis mir die Finger und Zehen abfallen? Der Mutterkornpilz wurde auch als Abtreibungsmittel

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