Heinrich Spoerl
Schreckensruf, vor dem die übelste Horde sofort in alle Winde zerstob. Pulverkopf ersetzte auch den »schwarzen Mann«, mit dem man unartige Kinder schreckte und in Schlaf jagte. Wenn sie größer wurden, entdeckten sie allerdings an seiner Allgewalt einen Mangel, seine kurzen Beine. Nein, im Laufen war Pulverkopf nicht auf der Höhe. Aber für Verbrecherjagden war er nicht angestellt. Und das Einfangen von bösen Buben hatte er sich längst abgewöhnt. Nur wenn sie ›Habuh Pulverkopf‹ hinter ihm herriefen und blitzschnell um die Ecke verschwanden, bekam sein roter Kopf einen deutlichen Schimmer ins Violette.
Wir wissen, daß große Herrscher der Weltgeschichte unter dem Pantöffelchen einer Frau standen. Pulverkopf hatte überall etwas zu sagen – nur nicht zu Hause. Dort regierte seine Frau, dort war er ein geduldetes, voluminöses Nichts. Es war, als ob er seinen Vorrat an Autorität in seinem Dienstrevier restlos verausgabte und ihm für zu Hause nichts mehr übrig blieb. Vielleicht war es auch umgekehrt, daß er sein zu Hause unterdrücktes Machtgefühl draußen im Revier abreagierte.
An jenem denkwürdigen Tage aber geschah das Unerhörte.
Pulverkopf war ohnehin schlechter Laune. Auf dem Kirchplatz war Fußball gespielt worden, und in der Kronenstraße hatten die Jungens auf den Klingelknöpfen friedlicher Bürgerhäuser Klavier gespielt und Holzspänchen eingeklemmt. Und kurz vor seinem Hause hatte ihn auch noch die Frau Dahlbender angefallen: »Dat war aber sinnig von Euch, Herr Serschant, jleich ein Protokoll wejen so ein bisschen Bettzeug. Und überhaupt, Eure Frau hat selber ein Teppich im Fenster hängen. Aber natürlich, die darf dat! Dafür is et auch die Frau Polizeiserschant.«
In dieser Stimmung kam Pulverkopf nach Hause. Seine Frau war beim Bügeln.
»Emilie, was hängt da aus dem Fenster?«
»Du hast ja Augen im Kopp!«
»Kannst du das nicht vielleicht entfernen?«
»Nein!«
Pulverkopf hätte besser getan, an dieser günstigsten Stelle das Gespräch abzubrechen. Aber er ließ nicht locker. »Ich muß dich schon bitten, den Bettvorleger aus dem Fenster zu nehmen. Die ganze Straße hat sich schon beschwert.«
»Von mir aus«, sagte Frau Pulverkopf und bügelte weiter.
Da geschah es. Polizeisergeant Pulverkopf vergaß plötzlich, daß er zu Hause war; er fühlte nur noch, daß er einen Helm auf dem Kopfe und einen Säbel an der Seite hat und staatliches Hoheitsrecht verwaltet. »So! – So!! – Dann muß ich mal ein bisschen dienstlich werden. Das Heraushängen von Betten oder sonstigen Gegenständen aus den zur Straße gelegenen Fenstern ist nach Paragraph siebzehn Ziffer vier der Polizeiverordnung vom neunten Februar eintausendachthundertsechsundsiebzig verboten. Ich verwarne Sie hiermit und fordere Sie auf, den fraglichen Gegenstand unverzüglich aus dem Fenster zu entfernen.«
»Paragraph« hat er gesagt. Und »Sie« hatte er gesagt. Frau Pulverkopf nahm keine Notiz davon. Das Bügeln einer Schürze mit Festonbesatz nahm sie völlig in Anspruch.
Bei Pulverkopf aber trat die berühmte Violettfärbung ein. Das hatte er noch nicht erlebt, daß man seine polizeilichen Anordnungen missachtete. Das war Auflehnung gegen die Staatsgewalt. Das grenzte an Revolution! Jetzt hatte er den Dienstweg beschritten und konnte nicht mehr zurück. Und seine Frau sollte einmal sehen, wer er überhaupt war, welche Machtfülle er besaß – wenn es auch nur eine vom Staate verliehene Macht war. Und der Inspektor sollte sehen, was für ein mutiger Mann er war.
Er sagte nichts mehr. Mit einem Ruck zog er zwischen den Uniformknöpfen das dicke Notizbuch hervor.
Und machte seiner Frau ein Protokoll.
Einige Stunden später befand sich die Meldung bereits im Geschäftsgang. Nach neun Tagen kam das Strafmandat: Aber nicht über drei Mark, wie üblich und erwartet, sondern über zwanzig.
Zwanzig Mark!
Das war aus erzieherischen Gründen geschehen. Zum Abgewöhnen. – Wem wollte man abgewöhnen?
Als Pulverkopf das Strafmandat bebebang seiner gestrengen Hälfte amtlich zustellte, verzog sie keine Miene. »Sieh nur zu, daß du das rechtzeitig bezahlst«, sagte sie und legte ihren Bettvorleger zum Fenster hinaus.
Bücher haben ihr Schicksal
Ein ritter sô gelêret was,
Daz er an den buochen las
Es soll große Männer gegeben haben, die zeit ihres Lebens kein anderes Buch kannten als Bibel und Felddienstordnung. Was besagt das? Nicht deshalb sind sie große Männer geworden, sondern trotzdem. Die
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