Heinrich Spoerl
Schulter.
»Und nem jroßen Musiksalong«, sagt ein Dritter und balanciert eine Schiebkarre über die Bretter.
Derendorf denkt an die Flüchtlinge. Wintergarten, Musiksalon? »Für wen ist denn das?« Die Antwort steht mit Goldbuchstaben auf der Vorderseite des Hauses: ›Back- und Konditoren‹.
Darunter das Schaufenster mit öden Blumentöpfen, teurem Kognak, viel Schokolade und etwas Brot.
Brummend schwankt ein Lastwagen heran, hoch beladen mit Ziegeln, biegt in das Grundstück und hält knirschend auf der Baustelle. Die Arbeiter kommen zusammen, bilden hinter dem Wagen eine Kette, und die Steine fliegen von Hand zu Hand.
»Halt!« gebietet Derendorf.
Die Steine fliegen weiter, hinter dem Lastwagen kommt ein kräftiger Mann hervor, mit offener Jacke, verstaubtem Hut und einem Gesicht, so rot wie seine Ziegel: »Wer hat hier Halt jesagt?«
»Ich. In meiner Eigenschaft als Polizeiorgan –«
»Ach nee«, der Mann tritt ihm fast auf die Fußspitzen, »dann gehen Sie man schön weiter. Orjane haben mer selber genug, und Ihr ganze Polizei, die kann mich –«
Derendorf lächelt verbindlich: »Ich weiß das, die Polizei wird jeden Tag dazu eingeladen. Aber dies ist das einzige, wo sie wirklich nicht zuständig ist. Und ich will auch nur wissen, warum die Flüchtlinge kein Material für ein Wohnhaus bekommen, während ein Bäckermeister sich einen Musiksalon baut.«
»Mein Ziegelstein gehen die Polizei en Dreck an.«
»Dreck interessiert mich besonders«, Derendorf ist noch immer freundlich, »das habe ich mir zur besonderen Aufgabe gemacht.«
Da dämmert es dem Ziegellieferanten: »Och, Verzeihung, Sie sind wohl der Neue?«
»Gendarmeriewachtmeister Derendorf«, sagt Derendorf.
Der Name genügt. Leute und Steine erstarren, und in das Gesicht des Ziegellieferanten ist der bleiche Schreck gefahren. »De-De-Derendorf? Dat sind Sie? Nee, wie mich dat freut, und nix für ungut, womit kann ich Ihnen dienen?«
Derendorf verbeißt sich das Lächeln: »Ich wundere mich, daß die Flüchtlinge nicht weiterbauen können und der Bäckermeister Ziegelsteine für einen Musiksalon bekommt.«
Der Mann mit dem Ziegelgesicht fällt aus den Wolken: »Ach nee, kriegt der Ziegelstein? Sehen Sie, da hab ich mich auch schon immer drüber gewundert.«
Derendorf sieht ihn suggestiv an: »Oder – sollte es sich um einen Irrtum handeln? Vielleicht sind das die Steine für den Flüchtlingsbau?«
»Flüchtlinge? Wenn Sie meinen, aber jern!« Der Mann schlägt sich die Hand vor den Kopf: »Herr Wachtmeister, wollen Sie glauben oder nit, da hab ich mich einfach in der Adreß geirrt!«
Die Ziegelsteine fliegen wieder auf den Wagen, und damit sie an die richtige Adresse geraten, steigt Derendorf auf das Trittbrett und leitet das widerwillig brummende Fahrzeug auf den Baugrund der Flüchtlinge.
Sie strömen aus Türen und Fenstern, kommen über die Wiese gelaufen, erklettern den Wagen von allen Seiten und greifen nach den langersehnten Steinen. Und dann wird Derendorf in die Höhe gehoben und sieht sich umringt von frohen Gesichtern: »Es lebe der Wachtmeister Derendorf!«
***
»Da verdammte Derendorf!«
So hat alles seine zwei Seiten; der Bäckermeister sitzt auf der Bettkante, denn der Zorn hindert ihn am Schlaf des Gerechten.
»Ja, Mann, dat biste aber selber in schuld!«
Er fährt böse herum. »Ich? Wer hat dat Musikzimmer jewollt und de Veranda, du oder ich?«
Die Worte versacken wirkungslos in den dicken Plumeaus des ehelichen Bettes.
»Du brauchst ja nit immer zu tun, wat ich will!«
»So, ich brauch nit zu tun, wat du willst, ich brauch nit zu tun, wat du willst?« Er steht vor Begeisterung auf: »Du, dat jib mich mal schriftlich!«
»Dein sieben Sack Mehl biste quitt, und ich seh noch immer kein Musiksalong!«
»Die Stein, wat die anbelangt, die krieg ich zurück. Die stehen mir zu. Die waren bezahlt!«
»Aber nit von dich. Sondern von der Staatliche Flüchtlingsbauhilfe.«
»Dat is ja ejal, aber ich hab dat Mehl herjejeben, ein Sack an die Ziegelei und zwei Sack nach oben und vier nach janz oben, damit die Stein umjeleitet werden an mich.«
»Schrei du dat ruhig! Dann hören et auch die Leut auf der Straß.«
Mit einem Stöhnen setzt sich der Bäckermeister wieder auf die knarrende Bettkante. Von einer ovalen Photographie an der Wand sehen ihn seine Schwiegereltern steif an.
»Da rackert man sich ab, und jeht alle Wege, um et zu wat zu bringen, und dann kommt dieser Saubengel und steckt da sein Nas rein!
Weitere Kostenlose Bücher