Heinrich Spoerl
Aber ich Lass mich dat nit jefallen. Da jeh ich hin, und dann soll der mal sehen! Du, sag ich dem, Männeken, wenn du denkst, du könntest mit mich so wat machen – Männeken –«
»Und dann?«
»Vielleicht, dat da dann eventuell mit sich reden läßt.«
Es raschelt in den Plumeaus: »Glaubst du dat?«
»Nee.«
»Na, siehste! Und nun jeh du im Bett und überlass die Sach mir. Wir Frauen können so wat besser.«
Der Bäckermeister sieht voll Zweifel in das schwammige, von Lockenwickeln umrahmte Gesicht seiner Ehefrau: »Thilde, meinste, der Derendorf, der war so einer, dem könnste schöne Äugskes machen?«
Thilde überhört die Frage und knipst selbstbewußt das Nachttischlämpchen aus.
***
Derendorf erwacht in bester Laune. Und als er in sein Dienstzimmer kommt und neun frische Anzeigen eingelaufen sind, wird seine Laune noch besser. Die Bevölkerung hat begriffen, welcher Wind hier weht und bekundet ihr Vertrauen durch tätige Mithilfe:
›– für meine Pflicht anzuzeigen, daß es bei Hamachers mittags immer nach Bohnenkaffee riecht und frage ich, woher die das Geld dafür haben.‹
›– und wie wir gestern zusammensitzen, sagt die Frau Groterjahn, um ihren Verstorbenen war es nicht schad, und sie hätte ja die Lebensversicherung. Habe schon immer gewußt, daß da etwas nicht stimmt.‹
›– gibt auch nichts ab auf Marken, aber hintenrum hat er immer was für solche Personen, die es sich leisten können.‹
Neuß hat grinsend mitgelesen: »Solle mer da Papierkorb nit doch wieder ereinholen?«
»Nein!« entscheidet Derendorf, »wir werden die Leute vernehmen.«
»Ich tat dat nit!« erklärt Neuß freimütig, »ich kann die dreckige Denunzianten nit verknusen!«
»Ich auch nicht. Aber wir brauchen sie.«
Neuß dreht seinem Chef ostentativ den Rücken und zündet sich die Pfeife an.
»Oder«, fragt Derendorf freundlich, »oder wollen Sie allen Vergehen durch eigene Beobachtung auf die Spur kommen?«
»Dat jeht nit!« gibt Neuß zu, »dafür sind mer zu wenig!«
»Sehen Sie, Neuß. Und die Denunzianten sind unfreiwillig das multiplizierte Auge der Polizei.«
»En schöne Moral!« knurrt Neuß.
Derendorf seufzt. »Mit Moral hat die Polizei wenig zu tun. Wir können nur dafür sorgen, daß die Leute aus Angst vor uns weniger schlecht sind.«
»Aber dat da!« Neuß klopft auf die Anzeigen, »wat die Leut da schreiben, dat ist doch all dumm Zeug!«
»Stimmt. Aber wir werden die Leute vorladen und ausfragen, und was glauben Sie, was dann alles ans Tageslicht kommt? Auch über die Denunzianten!«
»Wat?« Neuß fällt fast die Pfeife aus den Zähnen: »Jejen die wollen Sie auch vorgehen? Dann werden aus die neun Fäll ja achzehn!«
– Es werden nicht achtzehn Fälle, sondern achtundzwanzig. Die überraschenden Verhöre geben Derendorf schon am ersten Tag einen Einblick in die lokalen Verhältnisse, die legalen und illegalen Beziehungen, die Freundschaften und Feindseligkeiten, die jeden Tag wechseln. Aber es geht ihm dabei wie der modernen Naturwissenschaft: Je mehr erkannt wird, um so komplizierter wird das Bild.
Er nimmt die Mütze vom Haken und geht an die Luft. Als er den Marktplatz überquert, fährt von hinten ein Rattern auf ihn zu, Klappern, Quietschen und Knattern, krächzendes Hupen. Derendorf rettet sich auf den Bürgersteig. Neben ihm hält ein Kübelwagen aus dem letzten Krieg; ein alter Herr mit Knebelbart und Kneifer beugt sich aus der Blechkarosse und lüftet vornehm den Hut. »Verzeihung, mein Name ist Schauer, Tierarzt Schauer. Sind Sie der neue Wachtmeister Derendorf?«
»Ganz recht. Ist etwas passiert?«
»O nein, im Gegenteil! Ich wollte Ihnen nur gratulieren zu Ihrem Erfolg in der Flüchtlingssache.«
Derendorf wird verlegen.
»Bisher hat sich keiner um die armen Teufel gekümmert«, fährt der alte Herr fort, »und keiner wollte zuständig sein.«
»Zuständig bin ich natürlich auch nicht«, gesteht Derendorf, »aber meine Zuständigkeit wird ersetzt durch das schlechte Gewissen der Leute.«
»Dann sind Sie immer zuständig!« ruft begeistert der Tierarzt, kratzt mit dem Schalthebel, läßt den Motor aufheulen und rattert mit seinem störrischen Fahrzeug davon.
Beschwingt setzt Derendorf seinen Weg fort. Man könnte einmal nach den Flüchtlingen sehen und sich daran erfreuen, wie sie weiterbauen. Denn es ist sein gutes Werk.
Als er die Flüchtlingsbaracke erblickt, hört er von weitem schon frohen Lärm und Mundharmonika.
»Hallo!« ruft Derendorf und
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