Heinrich Spoerl
Gendarmeriestation zu Gendarmeriestation: Dreitonner Diesel mit schwarzen Kartoffeln! – Und in jeder Ortschaft und an jeder Kreuzung, auf den Brücken und vor der Stadt wird der Wagen angehalten von Polizisten, die ein hungriges Säckchen haben.
Nachts ist der Schulfreund endlich zu Hause. Im dunklen Hinterhof öffnet er die Ladeklappe und leuchtet die Pritsche ab; sie ist leer. Nur aus einer Ecke blitzt die Armbanduhr von Derendorf.
»Dieser Hund! – Überhaupt alles Hunde!«
Der Fahrer ist neben den Schulfreund getreten. »Hungrige Hunde, Chef!« sagt er leise.
***
Derendorf hat nie von der Wirkung seiner Telefondurchsage erfahren. Aber auch so denkt er nicht gern an die Kartoffeln zurück, stürzt sich in neue Arbeit und öffnet die Schublade mit den Sachen, ›an die man besser nicht rührt‹.
»Sie müssen et ja wissen«, seufzt Neuß und muß sich neben ihn setzen.
Warum ist die Anzeige gegen den Gastwirt liegengeblieben?
»Da jehe mer doch Mittagessen!«
Sehr interessant! – Derendorf macht sich eine Notiz, wühlt weiter und findet zwölf Anzeigen gegen einen Mann namens Kappes. Eine dreizehnte, vierzehnte, fünfzehnte.
»Dat is unser Herr Bürgermeister!«
Sehr interessant! – Derendorf heftet das Bündel zusammen und macht sich eine Notiz. – Und was ist mit dem Schuppeneinbruch?
»Dat is en arm Frau, die hat die Briketts für ihre Kinder jeklaut.«
Paragraph 243 einerseits, frierende Kinder andererseits. Wenn er die Sache weiterleitet, kommt die Frau vor Gericht. Sie wird mildernde Umstände bekommen, aber zeitlebens vorbestraft sein. Und er muß in jedem Falle, und so auch hier, seine Pflicht tun.
»Wat hier der Amtsrichter is«, meint aber Neuß, »da macht mit die kleinen Leut nit viel Federlesens.«
Derendorf geht es so zu Herzen, daß er grob wird: »Wenn man aus Not stehlen dürfte, dann würde es jeder tun.«
»Drum tun et ja auch all«, sagt Neuß trocken. Steht einfach auf und langt sich die Mütze vom Haken: »Mittagspause, Chef! Essen jehört auch zum Dienst.«
»Gut, daß Sie mich daran erinnern.« Derendorf nimmt – zum großen Erstaunen von Gladbach und Neuß – die Briefwaage vom Tisch und würgt sie in die Rocktasche.
– Als Derendorf, noch ganz in Gedanken bei der armen Frau, um eine Straßenecke biegt, prallt er mit der schönen Lilo zusammen. Sie tut einen kleinen Schrei, und ehe er sich entschuldigen kann, ist sie in einem Torweg verschwunden. Derendorf hat wieder den Rucksack gesehen und marschiert hinterdrein.
Er kommt in einen kleinen Garten; bunte Blumen blühen wild unter den tiefhängenden Zweigen, und Vögelchen zwitschern unsichtbar aus verwirrtem Grün. Derendorf sieht sich um, und dann findet er Lilo, die sich flach an ein Mäuerchen preßt.
»Was haben Sie in dem Rucksack?« Er geht streng auf sie zu.
Sie löst sich von der Wand und sieht ihm angriffslustig entgegen: »Wenn Sie es genau wissen wollen, Fleisch!«
»Bitte, öffnen!«
Sie dreht ihm den Rücken zu. Als er die Schnallen des Rucksacks öffnet, wendet sie den Kopf und zwei dunkle Augen sehen ihn forschend an. Derendorf greift in den Rucksack und findet Reisig. Er packt das Reisig aus und greift tiefer hinein. Leert den gesamten Rucksack, schüttelt ihn aus und findet nur Reisig.
»Sie haben mich ja wieder belogen!«
Lilo lächelt: »Und ich werde es auch weiterhin tun.«
»Warum?«
Aus ehrlichem Herzen: »Wissen Sie, ich lüge nämlich für mein Leben gern!«
Derendorf wendet sich schweigend ab und verläßt den Garten. Lilo aber schaut ihm versonnen nach. Kann er denn niemals Ruhe geben?
– Nein, er kann es nicht. Er sitzt in dem Lokal des Gastwirtes, bei dem die Polizisten zu Mittag essen und beobachtet von seinem Platz aus den Betrieb. An den hölzernen Tischen warten geduldig die Gäste vor schal werdendem Bier. Gladbach und Neuß sind übrigens nicht da; vielleicht ahnen sie etwas. Und an schmutzig überstrichenen Wandpaneelen hängen verjährte Fußball- und Wahlplakate. Aus einem brummelnden Radio klingt fade Mittagsmusik und vermischt sich mit dem Klappern lieblos gehandhabten Geschirrs.
»Ach, Herr Wachtmeister, kommen auch mal zu uns!« – Derendorf bestellt Kartoffeln mit Bratensoße.
»Vielleicht lieber ein Rumpstück? Die Herren von der Polizei brauchen doch etwas Herzhaftes.«
Dazu reichen die Marken nicht.
»Aber die Herren von der Polizei –«
»Die sollen aber Marken abgeben!« faucht Derendorf.
Die Kellnerin holt eine Schere und schneidet
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