Heinrich Spoerl
schweigt.
»Und jetzt bin ich extra hierhergekommen, um nach dir zu sehen, nach meinem alten, lieben, unvergeßlichen Schulfreund Derenberg!«
»– dorf!« verbessert Derendorf.
»– dorf sogar, jawoll! Und vielleicht, habe ich mir gedacht, kann ich dir auch helfen. Hilfe braucht doch jeder heute, nicht wahr. Ich meine die Anständigen, so wie du einer bist. Haste doch selber eben zugegeben, nicht wahr?« Er rutscht vom Fensterbrett, drückt Derendorf wieder auf das Feldbett und läßt sich neben ihm nieder: »Brauchst du Geld?«
Man kann es ihm nicht übelnehmen, denkt Derendorf, und sicher ist es gut gemeint! »Sehr lieb von dir. Aber was ich brauche, dafür reicht mein Gehalt, und wofür mein Gehalt nicht reicht – das brauche ich offenbar nicht.«
Schade! – »Aber vielleicht brauchste Klädage. Du hast doch sicher alles verloren?«
»Danke, danke!« wehrt Derendorf ab. »Tagsüber habe ich meine Uniform und nachts mein Nachthemd.«
Der Schulfreund mustert schweigend den genügsamen Toren. Seine Augen bleiben an Derendorfs Handgelenk hängen: »Mensch, du hast ja nicht mal ne Uhr! Wie willste da pünktlich zur Stelle sein, wennste gebraucht wirst?«
»Meine Uhr habe ich zur Reparatur gegeben. Und dann ist beim Uhrmacher eingebrochen worden.«
»Wie bei den Uhrmachern so eingebrochen wird!« grinst der Schulfreund.
»Aber ich habe eine Dienstuhr beantragt. Das wird natürlich eine Weile dauern.«
»Hättste nicht machen sollen, Willi, das kostet dem Staat nur Geld. Und du kannst sie billiger haben!« Der Schulfreund nimmt eine Aktentasche vom Boden, holt ein Etui hervor, entnimmt ihm eine blitzende Armbanduhr und schnallt sie Derendorf fix um das Handgelenk: »Nimm die hier, kleine Geschenke erhalten die Freundschaft, hä hä!«
Der überraschte Derendorf schwankt zwischen Freude und Hemmung: »Weißt du, eine neue Uhr habe ich mir schon immer gewünscht. Aber – ich lasse mir nichts schenken!«
»Willi, du bist doch von der Polizei! Und denk an deinen Dienst! Denk an deine Arbeit! Du mußt Tatbestände aufnehmen, die genaue Zeit angeben! Und vor allen Dingen wissen, wann der Dienst zu Ende ist, sonst bist du kein Beamter.«
Derendorf ist beinahe überrumpelt: »Natürlich – ja – aber – trotzdem. Nee, weißt du, ich habe meine Grundsätze!«
»Kann ich verstehen, Willi. Bist ein famoser Kerl! Habe ich auch nicht anders von dir erwartet!«
Derendorf fingert an der Schnalle des Armbands und will es lösen. Der Schulfreund beobachtet ihn aus schmalen Augen: »Dann nimm sie geliehen. Wir sind doch alte Schulkameraden!«
Geliehen? Derendorf hatte innerlich von der Uhr schon Abschied genommen: »Ach so, du meinst, bis ich meine Dienstuhr bekomme?«
»Meinetwegen!« lacht der Schulfreund, »ist zwar ne prima Uhr – aber ob sie so lange hält –!« Und wiehert und knallt ihm die Hand auf die Schenkel. Da lacht auch Derendorf.
Und doch fühlen sich beide erleichtert, als sie sich verabschiedet haben.
***
Eine Uhr ist zum Ansehen bestimmt, und dann wundert man sich, wo die Zeit geblieben ist. Eine neue Uhr wird unentwegt betrachtet, und dann wundert man sich, wie langsam die Zeit geht und daß an der Uhr nicht mehr zu sehen ist.
Derendorf will auch nicht mehr hinsehen, sondern die ausgehenden Berichte unterschreiben. Aber dann sieht er wieder auf die neue Uhr und stellt fest, daß er vor kaum zwei Minuten das gleiche getan hat.
»Wir gratulieren auch schön!« bemerkt Gladbach von seinem Tisch her.
»Ich habe sie von meinem Schulfreund«, sagt Derendorf mit geheimen Stolz.
»Da is da aber billig bei wegjekommen!« knurrt Neuß aus seiner Ecke.
»Was wollen Sie damit sagen?«
»Weil der Neuß den doch festgenommen hat!« sagt Gladbach.
»Dreitonner Diesel mit schwarze Kartoffelen!« sagt Neuß.
Derendorf ist aufgesprungen: »Und das sagt mir keiner?«
»Wir dachten – wir meinten – weil nämlich –«
»Weil, dat er doch Ihr Schulfreund is!«
»Gerade darum!!« schnauzt Derendorf. Reißt seine Dienstmütze vom Haken und stürzt aus der Wachstube. Zerrt das Motorrad aus dem engen Schuppen, startet die Maschine und schwingt sich auf den Sattel.
Auf der ausgefahrenen Straße vollführt das Motorrad bockige Tänze. Dann sichtet Derendorf auf der Fahrbahn eine Kartoffel und dreht mit Jagdeifer noch weiter auf. Und endlich hat er vor sich die Rückseite eines schweren Lastwagens. Derendorf hupt, und hupt abermals. Der Dreitonner Diesel hört nicht, sondern macht sich
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