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Heinrich Spoerl

Heinrich Spoerl

Titel: Heinrich Spoerl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: ADMIN JR.
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ungeschickt einen Streifen aus der schon sehr gezackten Lebensmittelkarte des korrekten Derendorf.
    Er sitzt weiter auf der Lauer. Als am Nachbartisch einem alten Herrn der Teller vorgesetzt wird, schießt Derendorf auf ihn zu: »Gestatten!« Zieht aus der Tasche die Briefwaage, legt ein Blättchen Papier darauf, zückt eine lange Pinzette und setzt damit das Stückchen Fleisch auf die Waage.
    Fehlgewicht!
    Derendorf ist schon am nächsten Tisch: Fehlgewicht!
    Er geht mit seiner Briefwaage von Tisch zu Tisch. Erst sind die Leute verblüfft, dann protestieren sie. Und die beiden Kellnerinnen stehen wie verscheuchte Hühner am Büffet. Irgend jemand schaltet sogar das Radio ab. Und mit hochrotem Kopf und auf zu kurzen Beinen erscheint der Gastwirt, schwenkt eine Riesenportion und setzt sie auf Derendorfs Tisch.
    Derendorf legt die Portion auf die Waage: Übergewicht. Er klopft an ein Bierglas: »Meine Damen und Herren! Ich habe festgestellt, daß die Portionen nicht stimmen. Vielleicht ist die Küchenwaage defekt. Wenden Sie sich an den Wirt, er wird Ihnen das Fehlende nachliefern.«
    Die Leute bleiben betreten und stumm, und an den Wirt wendet sich keiner. Der kommt von selber gelaufen. »Woran soll et denn fehlen?« fragt er unterwürfig.
    »Am Fleisch«, sagt ruhig Derendorf. »Die Leute haben für hundert Gramm Marken –«
    »Haben se eben nit«, fährt ihm der Wirt ins Wort, »und wo es kein Marken gibt, Herr Wachtmeister, da gibt es auch kein Fehlgewicht.« – Ein paar Leute lachen.
    Derendorf sieht viele feindliche Blicke. Er wendet sich zum Gehen und greift nach seiner Briefwaage. Aber die ist spurlos verschwunden.
    ***
    Am Nachmittag hat der neu gewählte Gemeinderat seine erste Zusammenkunft. Die Neulinge unter den Gemeinderäten sitzen mit befangener Würde am Tisch, wissen nicht, ob sie mit ihrem Nebenmann sprechen sollen, der von der anderen Partei ist, und sind ängstlich durchdrungen von ihrer neuen Verantwortung. Die alten Wiedergewählten aber stehen zu einer lauten Gruppe zusammen, machen ihre Späßchen und haben den Sinn verloren für den Ernst des Rathaussaales. Unter ihnen ist der alte Herr von Derendorfs Nebentisch und erzählt sein neuestes Erlebnis: »– und wie ich grad mit dem Essen anfang, springt der Derendorf von seinem Tisch auf und geht daran, unsere Portiönches nachzuwiegen, mit dem Ding hier!« Und zieht aus seiner Gesäßtasche die nun sehr verbogene Briefwaage Derendorfs und stellt sie auf den Tisch. Die anderen Gemeinderäte drängen sich lachend um das zarte Messinginstrument.
    »Dat is ein feine Idee!« sagt ein Kleiner mit Schielaugen und tupft mit dem Zeigefinger auf die Waagschale.
    »Da macht der uns nur die Leut mit rebellisch«, empört sich ein Greis mit wallendem Bart.
    »Dat Essen is unser Privatsach«, stellt ein vierschrötiger Kerl fest, »und wenn uns da wat nit paßt, dann sind mer selber Manns jenug, uns zu wehren.«
    Die Glocke des Vorsitzenden bimmelt. Die Leute setzen sich lärmend auf ihre Plätze. Am oberen Ende des Tisches, vor einem leeren Podest, auf dem früher einmal ein Kopf aus Bronze stand, erhebt sich der ehemalige Bürgermeister:
    »Meine Herren Gemeinderäte! Nun seid mal endlich still mit dem Derendorf, der steht doch gar nicht auf der Tagesordnung.« Er macht eine Pause, knöpft sich den Rock zu und nimmt feierliche Haltung an: »Werte Gemeinderäte, nachdem wir nun von der Bevölkerung unseres Ortes als die neuen Gemeinderäte – aus der Wahl hervorgegangen sind, schreiten wir, gemäß der Verfassung, betreffs des Bürgermeisters, nunmehr zur Wahl desselben.« Er macht eine Pause, knöpft den Rock wieder auf und zwinkert den Leuten vertraulich zu: »Liebe Freunde, Ihr kennt mich ja all und ich hoffe auch, dat Ihr nit vergessen habt, wat ich für euch immer getan hab, für ein jeden von euch, bis an die Grenze, wo ich selber schon mit einem Bein sozusagen – nit wahr! Und deshalb, liebe Freunde, wenn ich euch einen guten Rat geben darf: Tut euch wieder einen wählen, der für euch durch dick und dünn geht und vor nix zurückscheut – so wie ich!« Er knöpft sich den Rock wieder zu und nimmt abermals amtliche Haltung an: »Meine Herren Gemeinderäte! Wir kommen somit zur Tagesordnung und schreiten nunmehr zur Wiederwahl – ich wollte sagen zur Wahl des Bürgermeisters.«
    Die Gemeinderäte nicken mit den Köpfen.
    Der Bürgermeister fährt fort: »Wir müssen aber pro forma einen Wahlgang machen, weil es so im Gesetz vorgeschrieben

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