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Heinrich Spoerl

Heinrich Spoerl

Titel: Heinrich Spoerl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: ADMIN JR.
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dazwischen und sagt kein Wort. Mißmutig zieht er das narbengeschmückte Kinn hinter den Stehkragen und preßt die geraden Lippen und blickt steil an den Leuten vorbei; seine grauen Augen versuchen härter zu tun, als sie können.
    Ein Staatsanwalt hat es schwer. Andere können am Abend ihren Rock ausziehen und als Mensch unter Menschen gehen. Staatsanwalt bleibt Staatsanwalt, der frostige Hauch seines Amtes hängt ihm nach. Andere dürfen eine Meinung haben und sie sogar äußern. Seine Meinung ist amtlich vorgeschrieben und erscheint im Ministerialblatt. Demzufolge fühlt er sich verpflichtet, seinen Landesherrn in Schutz zu nehmen. Man brüllt ihn nieder. Er fühlt selbst, seine Verteidigung klingt hohl. Er muß innerlich zugeben, ›Stänker‹ ist ein unpassender Ausdruck. Und gar die Pünktchen in Allerhöchstem Munde –
    Aber darum brauchen sie doch nicht zu schreien, daß man es bis auf die Straße hört! Sie sollten wenigstens Rücksicht auf ihn nehmen. Eben darum scheint es ihnen besonders Spaß zu machen. Es ist überhaupt keine Gesellschaft für ihn.
    Es ist besser, man geht. Frau Tigges kommt und streicht sich den braunen Scheitel zurecht: »Eine Wehlener eins achtzig, eine Hasensprung zwei zehn –«
    »Schau – schau, dem Herrn Staatsanwalt wird es brenzlig!«
    »Der Herr Staatsanwalt hat wohl sein Quantum?«
    »Und das gute Frauchen wartet!«
    »Tja, und ein bißchen Angst hat er wohl auch.«
    Ein Staatsanwalt hat keine Angst. Niemals!
    Und sein Quantum sieht anders aus. Und was Elisabeth angeht – »Frau Tigges, eine Johannisberger Spätlese!«
    Die Hänselei ist im Gang, jetzt reißt sie nicht mehr ab; die Spätlese kann daran nichts ändern. Es ist ein billiger Spaß. Mit den Flaschen wächst ihnen Mut und Geist, und der alte Doktor, der schon den ganzen Abend seinen neuesten Sprechstundenwitz anbringen will, gibt es auf und tut mit.
    Treskow wahrt Haltung. Das ist seine Stärke. Er sitzt unbeweglich, sein Gesicht wird zu Stein, nur die Narben röten sich. Er steht wie auf Mensur. Manches im Leben hat er herunterwürgen müssen, Nase von oben, Renitenz von unten. Er schluckt auch dies und spült mit Spätlese nach.
    Viel hat er an diesem Abend schlucken und sehr viel nachspülen müssen. Schon baut sich die vierte Flasche vor ihm auf, und sein illuminierter Blick kehrt sich nach innen. Was wollen sie von ihm? Er ist verdammt kein Musterknabe. In Greifswald und Rostock erzählt man heute noch von ihm, er denkt mit Respekt und Schrecken an sich zurück. Er würde denen schon zeigen, wer der Duckmäuser ist – wenn er dürfte, wie er wollte.
    Aber er darf nicht und tötet sein Wollen mit einer fünften, schwersten Flasche.
    Die Runde hat sich gelichtet. Der Zahnarzt redet schon langsam und beschränkt sich auf Worte, die er noch aussprechen kann. Und das werden immer weniger. Schließlich krümelt er ab, Arm in Arm mit dem Medizinalrat, der nun seinen aufgespeicherten Witz loswerden könnte, aber nicht mehr zusammenbringt. Treskow sieht leere Stühle; er wird nicht schlau daraus, wer noch da ist und wer nicht. Und dann ist es still. Er ist mit seiner Flasche allein. »Scheißkerle! Reißen das Maul auf bis hinter die Ohren, und dann sind sie auf einmal nicht mehr da.«
    Große Kreszenzen sind anspruchsvoll und verlangen einen Mann für sich, ohne Geschwätz und Gefolgschaft. Frau Tigges hat Verständnis für solche Weihestunden. Sie baut keine Stühle auf den Tisch, sammelt keine Aschenbecher, veranstaltet keinen Durchzug. Sie sitzt in ihrer Ecke und schreibt die Speisekarten für morgen und tut, als sei sie nicht da.
    Der einsame Zecher stiert vor sich hin. Er hat das Feld behauptet. Was heißt Quantum? Aber nun überkommt ihn ein Gefühl der Verlassenheit. Weltschmerz dämmert auf.
    Da erinnert er sich seines Genossen.
    »Komm mal raus, altes M-Mistvieh.«
    Schwerfällig kraucht die mächtige Dogge unter dem Tisch hervor, blinzelt mit verschlafenen Augen ins Licht, reckt den rechten, reckt den linken Hinterlauf, streckt den langen Rücken, gähnt bis hinter die Ohren und setzt sich breitbeinig auf.
    »Sollst nicht l-leben wie ein Hund«, spricht Treskow und gießt dem Tier einen Aschenbecher voll Wein. »Aber m-mit Verstand, August. Geisenheimer Mäuerchen Trockenausbeerlese – L-Leerausbese – B-Beerauslese kriegen wir n-nicht alle T-Tage. – P-Prost, verdammter Sch-Schweineköter!«
    August schnalzt und schleckt und legt die Ohren schief und säuft den geräumigen Aschenbecher leer.

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