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Heinrich Spoerl

Heinrich Spoerl

Titel: Heinrich Spoerl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: ADMIN JR.
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Er darf das öfter, wenn Herrchen guter Laune ist; aber so lecker war es selten. Und hört dankbar und geduldig den einseitigen Dialog, den sein hoher Herr mit ihm führt.
    »August, w-wir sind anständige K-Kerle, wir b-beide. Anständige Kerle, und wenn wir auch m-manchmal das M-Maul halten müssen. Dann sind wir doch anständige K-Kerle! Aber d-das lassen wir uns n-nicht gefallen! August, w-was meinst du dazu?« August ist der gleichen Ansicht, er tut einen tiefen Seufzer und senkt gedankenvoll die schweren Lefzen.
    »Wir sind k-keine Stänker, August, und wir l-lassen uns keinen M-Maulkorb vorbinden – vorbinden. W-Wie wir gebaut sind! Das l-lassen wir uns n-nicht bieten, wir b-beide nicht! Und G-Goethe lassen wir uns erst recht nicht b-bieten: – Und w-was die P-Pünktchen anbetrifft –«, Treskow erhebt sich drohend in seiner knochigen Länge – »die P-Pünktchen – die verbbitten wir uns – bbitten wir uns!«
    Treskow ist mit der Stimme übergeschlagen und fällt auf seinen Sitz zurück. Herr und Hund schweigen sich eine Weile an. Das hat er schön gesagt, und außerdem ist dabei sein Glas umgefallen. Man könnte jetzt aufbrechen.
    Unvermutete Hindernisse stellen sich entgegen. Die Trockenbeerauslese hat ganze Arbeit getan. Verblüfft schauen sich die beiden Zecher an und wundern sich. Treskow glaubt auf Wolken zu schweben und findet keinen Boden unter den Füßen. August fühlt sich mit Blei ausgegossen und verheddert sich in seine zahlreichen Beine. Das B-Biest hat einen s-sitzen, konstatiert Treskow, der soll sich sch-schä-men! Der hohe Herr ist besoffen, denkt August, ich muß g-gut auf ihn aufp-passen!
    Edle Weine spenden edle Räusche. Aber der Wille siegt. Treskow merkt sehr wohl, daß der Kleiderhaken ihm ausweicht. Er überlistet ihn und legt sich auf die Lauer; mit einem plötzlichen harten Griff schnappt er sich Mantel, Hut und Maulkorb, steht wie eine Säule und stakert mit der nie versagenden Direktion eines sturmerprobten Semesters gegen die Tür, auf die Straße, in die Nacht.
    Hinter ihm schließt Frau Tigges zu und löscht das Licht.
    ***
    Die Nacht vom Samstag zum Sonntag ist nicht wie die anderen Nächte. Sie fängt später an, manchmal auch, wenn sie fast vorüber ist. Dafür ragt sie in den hellen Sonntagmorgen hinein. Da sind keine Arbeiter, die mit Eßkesselchen auf Frühschicht gehen, keine Straßenkehrer, die ihre Besen schwingen, keine Ulanen, die im Morgengrauen zur Heide ausrücken. Nichts stört den frühen Feiertag. Sechs Tage lang hat man das Recht erworben, sich am siebenten auszuschlafen. Man versäumt nichts.
    Mitunter versäumt man doch etwas.
    Auch der Marktplatz darf heute länger schlafen. Er liegt öde und still, während das erste Frühlicht über die Dächer gleitet. Im weiten Raum steht einsam und vergessen das Denkmal und ragt als dunkle Silhouette in den fahlen Morgen.
    Langsam, mit steigendem Licht, zerfließt der Dunst. Ein Bäckerjunge auf dem Rade trudelt über den Platz, bremst, springt ab und gafft. Eine alte Frau, die zur Frühmesse will, bleibt erschrocken stehen und guckt. Ein Milchmann mit seinem Hundewägelchen hält an und stellt sich breitbeinig auf. Langsam erwacht die Stadt, und alles, was über den Platz kommt, gesellt sich zu der Gruppe, die fassungslos an dem Denkmal emporstarrt. Das flüstert und kichert und feixt und gluckst und hält sich die Hand vor den Mund, sieht sich scheu um, gafft abermals und will schier ersticken am unterdrückten Lachen.
    Was ist geschehen?
    Am Denkmal ist etwas geschehen. Es ist von unberufener Hand wirksam, aber nicht zu seinem Vorteil verändert worden.
    Nicht, daß man etwas zerstört, eine lebenswichtige Zier meuchlings abgebrochen hätte. Schlimmeres: Man hat etwas hinzugefügt. Vor das eherne Antlitz des Landesherrn ist ein Maulkorb geschnallt, ein richtiggehender, großer, lederner Maulkorb.
    Gelbe Frühsonne liegt wie Scheinwerferlicht auf dem Standbild und beleuchtet rücksichtslos das ernste, kluge Gesicht, das stolz in die Weite blickt und ob des seltsamen Schmuckes keine Miene verzieht.
    Immer neue Menschen kommen, starren und staunen, schämen sich und wollen wegblicken und schauen wieder hin. Ein fürsorglicher Vater will seinen Kindern die Augen zuhalten und ihnen den Anblick ersparen, hat aber nur zwei Hände; er will in eine Seitengasse biegen, die Buben biegen nicht mit und sind in der gaffenden Menge verschwunden.
    Als hinreichend Leute da sind, erscheint der übliche Schutzmann. Er

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