Heinrich Spoerl
einen breiten Flur, dann rechts eine Steintreppe hoch, dann wieder durch einen langen Gang, dann kamen wieder Treppen und Stufen; es war ein richtiger Fuchsbau, in dem sich der gerissenste Gerichtsvollzieher nicht zurecht fand. Und wenn man oben war, wußte man nicht, ob es das dritte oder fünfte Stockwerk war. Es war aber hoch genug, denn höher ging es nicht. Und das Atelier war kein Atelier, sondern ein abgeschlagener Teil eines alten Speichers, schräg und winklig und kompliziert und mit einem Gewirr von Stützen und Balken durchzogen. Daran konnte man Kleider, Bilder und Hausrat aufhängen, und wenn die kleinen Dachfenster nicht genügend Licht zum Malen einließen, mußte man es durch satte, leuchtende Farben wettmachen. So entstand aus der Not ein Stil. Dies war die Eigenart und Zukunft der Gollschen Bilder, daß sie, im dunklen Atelier entstanden, auch im trüben Licht städtischer Wohnräume lachten und leuchteten.
Goll, der sich mit zwei ›l‹ schrieb und mit drei ›l‹ sprach, rheinisch und tief hinten im Hals, hatte auch eine Braut, ›dat Anita‹. Eigentlich war sie Tänzerin. Aber da sie für ihre zierliche Figur einen zu großen Kopf hatte, tat sie keinen Triumphzug um die Erde, sondern hielt dem Goll die Sachen in Ordnung und sorgte für sein körperliches und seelisches Befinden. Und sie war keineswegs damit einverstanden, daß das Gollsche Atelier gewohnheitsmäßig von exmittierten Kollegen als Not- und Nachtquartier benutzt wurde. Wenn man Abends nach Hause kam, stand oft einer wartend vor der Tür oder saß auf der Treppe und war eingeschlafen, so daß man darüber fiel. Aber weggeschickt wurde keiner.
Ein Atelierfest beim Goll ist keine prunkvolle Kostümschau, auch kein byzantinisches Bacchanal. Er hat ein Bild für dreißig Mark verkauft, ein »Aquarellschen«, und das verpflichtet. Streng genommen ist es noch gar nicht verkauft, aber jemand hat ihn nach seiner Adresse gefragt, er käme vielleicht mal vorbei und würde sich das ansehen.
Zu einem Atelierfest ergehen keine großartigen Einladungskarten mit ›geben sich die Ehre‹ und ›u.A.w.g.‹. Man sagt es beiläufig einem Kollegen, und dann ist es innerhalb einer Stunde rund auf Grund einer unsichtbaren, mit unheimlicher Sicherheit funktionierenden Verbindung. Und dann kommen sie alle, mehr als alle, sie kommen dreimal soviel als erwartet. Das ist nicht schlimm. Man glaubt gar nicht, wie viel lustige Menschen in einem kleinen Atelier Platz haben. Stühle sind ohnehin nicht vorhanden. Man sitzt auf dem Diwan, auf Kisten und Kästen, die mit Schals und Stoffresten wohnlich gemacht sind; vor allem aber auf dem Boden, wo für die weibliche Bevölkerung als Zeichen besonderer Galanterie Kissen und Decken aufgelegt sind, aber die werden bereits von den Gästen mitgebracht. Der Gastgeber stellt nur den Raum und stiftet, wenn es hochkommt, den Zucker und das Gefäß für die Bowle, einen großmächtigen Gurkentopf. Für alles Weitere sorgen die Geladenen, so sind sie es gewohnt. Für die umfangreiche Gemeinschaftsbowle, die als flüssiges Eintopfgericht das Zentrum des Festes bildet, bringt jeder eine Flasche Wein mit, die »Arrivierten« auch zwei. Es ist Rheinwein, Moselwein, Saarwein, Rotwein, ein buntes Gepantsch. Aber es tut seine Schuldigkeit, vielleicht gerade darum. Und der lange Päffgen, der doch so geizig sein soll, hat sogar zwei hochvornehm etikettierte Flaschen bei sich, Spätlese und so weiter, tut furchtbar wichtig damit und läßt sie eigenhändig in den Bottich plätschern. Damit keiner merkt, daß es schieres Wasser ist, das er vorher heimlich auf dem Hof eingefüllt hat. Auch die Kostüme sind sparsam. Das Motto des Festes lautet: Nacht in der Südsee. Das klingt malerisch und ist vor allem billig und läßt sich ohne Samt und Seide mit wenig Krepppapier und viel Haut und Farbe bewerkstelligen. Bis Karneval ist noch ein halbes Jahr, aber der wahre Künstler hat nicht Uhr noch Kalender, sondern Spaß. Zu diesem Zweck bringen sie auch ihre Damen mit, Bräute, Modelle und Zwischenstufen, und jede von ihnen kommt sich wie eine Noa-Noa vor und tut entsprechend. Es ist eine luftige, lustige Weiblichkeit, die dort herumschwirrt, und dazu die vielen Butterbrote mit Leberwurst und Schwartenmagen, und als Gipfelpunkt eine ganze Büchse Bratheringe. Und Lampions und Ziehharmonika, Gitarre, Singsang und Quietschen. Eine Bratpfanne als Gong, dazu »Anitas« Tanz, und auf einmal ist der lange Päffgen außer Rand und Band. Er hat
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