Heinrich Spoerl
Die Herren wissen nicht, worauf es ankommt, und sollen es auch nicht wissen. Wer ist als Letzter gegangen? Treskow fragt es so nebenbei, mit jenem Unschuldsgesicht, das er sich für solche Fälle zugelegt hat.
Ja, das ist schwer festzustellen. Jeder ging, als er schon tüchtig Bettschwere hatte; keiner kann genau sagen, wer zurückblieb. »Übrigens waren Sie doch selbst dabei, Herr Staatsanwalt.« Das sagt natürlich wieder der Zahnarzt; der Mann hat keine Manieren und stößt die Schranke ein, die zwischen ihm und dem Vertreter des Staates gesetzt ist.
»Meine eigenen Beobachtungen«, weist Treskow ihn zurecht, »stehen hier nicht zur Erörterung. Ich möchte es von Ihnen hören, beziehungsweise von Ihnen bestätigt haben.« Der alte Trick: Man tut, als ob man schon weiß.
Auch das hilft nicht. Die Herren sehen sich hilfesuchend an, zucken die Achseln. Keiner entsinnt sich. Man weiß nur, daß es riesig fidel war.
Am besten fragt man Frau Tigges. Die muß es wissen, sie hat wahrscheinlich abgeschlossen und das Licht gelöscht.
Frau Tigges wird hereingeholt. Die Herren müssen draußen warten. Es wird zu einer Gegenüberstellung kommen. Wahrscheinlich noch zu ganz etwas anderem, denkt Treskow.
Merkwürdig, daß die Frau mit der Sprache nicht heraus will. Ist es weibliche Befangenheit? Als Weinwirtin ist man nicht zimperlich. Stellt sie sich dumm, um einen der Herren draußen zu schonen?
Wer als Letzter gegangen ist? Es war natürlich schon recht spät, und das mit der Polizeistunde würde doch nie so genau genommen, und es waren auch nur Stammgäste und bessere Herren.
Treskow läßt sich nicht vom Thema abbringen und klopft auf den Tisch. »Reden Sie nicht um die Sache herum, Frau Tigges. Sie machen sich verdächtig. Es handelt sich hier nicht um die Polizeistunde, sondern um den letzten Gast.«
»Gewiß, Herr Staatsanwalt, ich weiß schon, aber der Herr Staatsanwalt waren vielleicht etwas angeregt und wollten auch die Flasche Wein noch zu Ende trinken.«
»Ich will nichts von mir wissen«, sagt Treskow. »Ich will wissen, wer als Letzter gegangen ist.«
Er ist unerbittlich, Frau Tigges kann nicht länger ausweichen: »Als Letzter gegangen? Wenn der Herr Staatsanwalt sich vielleicht nicht mehr erinnern sollten, dann müssen der Herr Staatsanwalt gütigst entschuldigen, es schlug eben halb drei, und die Frieda weiß es auch, und das wäre doch nicht schlimm und ginge keinen was an –«
»Also, wer war der Letzte?« donnert der Staatsanwalt.
»Sie!«
»Wer, sie?«
»Sie selber!«
»Ich? – Wieso ich?«
»Ja, bitte. – Und dann habe ich die Tür –« Frau Tigges bleibt mitten im Satz stecken. Was ist mit dem Herrn Staatsanwalt? Soll man ihm ein Glas Wasser reichen? Oder das Fenster öffnen? Auch der Herr Referendar sieht so merkwürdig drein und wird immer kleiner. Sie fühlt, es muß etwas Furchtbares sein, das sie angerichtet hat. Sie ist eine gute Frau und will es wieder in die Reihe bringen. Die Herren müssen gütigst entschuldigen, sie kennt sich doch nicht aus mit dem Juristischen, und das wäre nicht böse gemeint, und so genau könne sie das nicht mehr sagen, und mit der Frieda wolle sie ein vernünftiges Wort reden. Auch Thürnagel will helfen. Er hat das eben nicht mitbekommen beim Protokoll, es sei ihm überhaupt nicht wohl, und ob man die Vernehmung nicht vertagen solle, inzwischen habe Frau Tigges Zeit, sich das noch mal zu überlegen.
Alle wollen helfen.
Treskow sieht es nicht oder will es nicht sehen. Er schickt Frau Tigges und den Referendar hinaus. Seine Stimme donnert nicht mehr, sondern ist wie mit Mehl bestaubt.
Dann ist er mit sich und seinem Aktenstück allein.
Ein kalter Schweiß ist ihm ausgebrochen. Er sieht noch einmal die Aussage der gutsituierten Dame durch und überdenkt, was Frau Tigges gesagt hat. Er war der letzte Gast – der letzte Gast war der Täter; die Gleichung stimmt. Er träumt nicht, es ist alles richtig um ihn, das ist sein Zimmer, auf dem er seit achtzehn Jahren sitzt, dort liegt das gelbe Aktenstück und grinst ihn an, und auf dem Deckel steht immer noch: Gegen Unbekannt.
Jetzt hat er ihn. Kein Wunder, daß es etwas lange gedauert hat. Wenn man hinter sich selbst herläuft, ist es nicht leicht, sich einzuholen. Eigentlich eine kriminalistische Meisterleistung, auf die er stolz sein könnte. Er versucht zu lachen; es erfriert auf seinem Gesicht.
Er rennt durchs Zimmer.
Was ist geschehen?
Eigentlich noch gar nichts. Die Aussage der Frau
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