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Heinrich Spoerl

Heinrich Spoerl

Titel: Heinrich Spoerl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: ADMIN JR.
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zerknautscht auf dem Rand des Waschbeckens liegt. »Was, haben Sie denn keinen Anzug?« – »Nein.«
    »Sie müssen doch einen Anzug haben, Sie können doch nicht im Nachtkittel losgefahren sein.«
    Der Herr gibt keine Antwort. Draußen erscheinen bereits hohe Häuser und Höfe.
    »Gestohlen?« entsetzt sich Knittel. »Ja, Mann, das müssen Sie melden, rufen Sie den Zugführer, oder soll ich mal –«
    »Ich möchte kein Aufsehen«, sagt der Herr scharf und kurz, »ich möchte Ihren Anzug.«
    »Möchten, was heißt möchten? Deswegen kann ich doch nicht mit dem lächerlichen Ding da über den Bahnsteig laufen.«
    »Einer von uns wird es müssen«, sagte der Fremde und hat bereits Knittels Hose an.
    »Warum gerade ich, tun Sie es doch selbst, wie komme ich überhaupt dazu?«
    »Weil ich nicht auffallen darf. Bei Ihnen kommt es nicht darauf an. Außerdem bin ich in der angenehmen Lage, Sie dafür zu bezahlen.« Der Herr hat dem Schlafanzug ein kleines Scheckbuch entnommen. »Welchen Betrag schlagen Sie vor?«
    Knittel hört gar nicht hin: »Ich bin doch nicht verrückt, in dem Karnevalskostüm durch die Leute, das gibt einen Volksauflauf!«
    »Der Auflauf wird mitbezahlt«, sagt der Herr und setzt zum Schreiben an.
    »Jawohl, und dann kommt die Polizei, wegen Sittlichkeit und öffentlichem Ärgernis!«
    »Schön, dann bezahle ich auch die Sittlichkeit und das Ärgernis.«
    Der Herr zerreißt den Scheck und beginnt einen neuen.
    »Und dann kommt ein Mann mit einer Brille, tut mich in eine Anstalt und beobachtet mich!«
    »Dann muß ich den Zeitverlust auch noch miteinkalkulieren«, seufzt der Herr noch und schreibt neu.
    Der kleine Raum ist nicht berechnet für zwei aufgeregte Männer, von denen der eine schreibt und der andere schimpft. Knittel steht in Unterhosen und hat den Hut noch auf, und dabei kommt ihm ein neuer Gedanke: »Und was meinen Sie, was meine Frau dazu sagt, wenn ich ohne Anzug nach Hause komme?«
    »Eine Frau haben Sie auch? Dann müssen wir den Betrag allerdings verdoppeln.« Und beginnt abermals einen neuen Scheck. »Stellen Sie mir lieber eine kleine Bescheinigung aus«, meint Knittel, »damit sie mir das glaubt. Und vorgestellt haben Sie sich noch nicht.«
    Der fremde Herr hat nicht die Absicht; er wünscht, fremd zu bleiben. Aber damit ist Knittel nicht gedient. »Was ist das überhaupt für eine Zumutung! Von einem Unbekannten kann ich doch keinen Scheck nehmen, der kann ja faul sein!«
    »Wenn Sie darin ein Risiko sehen, dann wird die besondere Höhe des Betrages Sie beruhigen.« Der Herr zerreißt den letzten Scheck und schreibt nochmals neu.
    Knittel wird immer aufgeregter. »Ja, haben Sie denn auch kein Geld? Das ist aber komisch, Sie laufen hier herum, mit nichts bei sich, wo kommen Sie überhaupt her? Da ist doch was nicht in Ordnung?«
    Der Herr ist mit Umkleiden fertig und nimmt sich Knittels Hut. »Bitte Ihren Schirm.«
    »Wieso Schirm, ich will meinen Anzug wieder haben! Haben Sie mich verstanden?«
    »Hier ist der Scheck«, sagt der Herr, »und machen Sie keinen Lärm, Sie bringen sich selbst nur in Ungelegenheiten!« Und ist fort, ehe Knittel es begriffen hat.
    »Meinen Anzug will ich haben!« schreit Knittel und will hinterher. Der Zug bremst bereits. Vor der Tür des Waschraums haben sich die Leute gestaut, Knittel rennt gegen eine ältere Dame; sie sagt »Oh!«, da erinnert er sich seiner Unterhosen und flitzt in den kleinen Raum zurück. Steckt den Kopf durch den Türspalt und ruft nach dem Schaffner.
    Der Schaffner ist am anderen Ende des Zuges. Schaffner sind das immer. Der Zug fährt langsam in die Bahnhofshalle ein und hält mit einem Ruck. Knittel reißt das Milchglasfenster herunter und sieht gerade noch, wie der Herr eilig aussteigt und in der Menge verschwindet.
    Mit seinem schönen blauen Anzug! Dafür liegt vor ihm das graue Pyjama aus starrer Seide und obenauf der kleine Scheck. Er sieht nicht hin, er will mit der Sache nichts zu tun haben. Aber schließlich bleibt sein Blick daran hängen, und seine Augen weiten sich. Er sieht eine Zahl, die er nicht erwartet hat, und weiß nicht, wie er das verstehen soll. Und wird hinter dem Scheck ganz klein und gehorsam. Er denkt nicht mehr daran, Alarm zu schlagen, sondern sitzt still und verängstigt in dem engen Raum und steckt sich zunächst einmal, mangels andrer Möglichkeit, den Scheck tief in die Socke.
    Er weiß, hier kann er nicht ewig sitzen; der Zug hält bereits eine Weile, der Lärm verebbt, die Leute sind

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