Heinrich Spoerl
sitzt Knittel über seinen Päckchen und kann sich nicht trennen von seinem heimlichen Schatz. Und spielt mit dem Geld und mit den Gedanken.
***
Der nächste Tag fängt an wie alle andern. Knittel ist eilig und hungrig und verdeckt seine innere Unruhe, und Erika ist ausgeschlafen und nicht mehr traurig und gibt ihm den gewohnten Kuss mit auf den Weg. Er nimmt die Liste der rückständigen Gasrechnungen und die Plombierzange und klemmt seine Aktentasche fest unter den Arm. Sie ist verdächtig dick und knistert. Offenbar hat Manne heute sehr viel zu tun.
So setzt er sich in Marsch, geht seine Straßen, klettert seine Treppen und klingelt seinen Kunden. Sein Beruf ist eine soziale Studie; er führt ihn zu unterschiedlichen Menschen, hoch und niedrig, gut und böse. Nur daß sie eben ihre Gasrechnungen nicht bezahlt haben. Die Gründe sind verschieden, die Folge ist überall die gleiche und eindeutig vorgeschrieben. Es ist ein Rest kapitalistischer Unerbittlichkeit: Nix Geld – nix Gas.
Auch in besseren Häusern, mit schwülstigen Türen und plüschbelegten Treppen, hat Knittel seine Lieblinge. Manchmal öffnet eine feiste Köchin – huch, der Gasmann! – und verschwindet wieder; dann hört er heftiges Tuscheln hinter der Tür, und man erzählt ihm, es sei niemand zu Hause, er könne ja in ein paar Tagen noch mal versuchen. Nein, das kann er nicht, aber schon schlägt ihm die Tür vor der Nase zu, und die Köchin geht wieder in ihre gekachelte Küche an ihren sechsflammigen Gasherd und macht ein verächtliches Pöh! Da machen die Flammen ebenfalls pöh! eine nach der anderen, und sind tot; Rheinsalm und Rebhuhn bleiben unvollendet.
Oft muß Knittel hohe Treppen klettern, hinauf zu den Mansarden, wo die einsamen Leute wohnen. Schon von draußen hört er die Fingerübungen und Läufe des alten Musiklehrers. Er ist übrig geblieben aus der Zeit der klavierübenden Töchter; moderne Maiden betreiben Mundharmonika und Blockflöte. Offenbar weiß Knittel Bescheid, er braucht nichts zu sagen und hält dem Spieler schweigend den Zettel hin. Der schüttelt traurig den schmalen Kopf, und Knittel muß sperren. Er kann es nicht, es ist schon gesperrt. Oder vielmehr, es ist noch gesperrt, vom letzten Mal. »Und es bleibt auch gesperrt«, sagt das graue Männlein; »ich habe nämlich eine Entdeckung gemacht: Man braucht kein Gas. Beethoven und Bach hatten auch kein Gas. Ich gehe früh zu Bett und lebe von Milch und Haselnüssen.« Und setzt mit triumphierenden Trillern und rauschenden Arpeggien wieder ein.
Mitunter kommt Knittel in Gefahr. »Ach, Sie sind der Herr vom Gaswerk, das habe ich doch gleich gesehen, kommen Sie doch bitte einen Augenblick zu mir herein.« Die kleine Frau ist noch nicht ganz angezogen und öffnet ihm bereitwillig ihre süße Wohnung. »Sie sind sicher müde von dem vielen Laufen und dem ewigen Treppauf und Treppab, das muß ja ein schrecklicher Beruf sein und immer bei armen Leuten, die es nicht haben, und dann gleich sperren, nehmen Sie doch ein bisschen Platz, vielleicht ein Schnäpschen gefällig oder ein Zigarettchen, und nun seien Sie doch nicht gleich so furchtbar geschäftlich, überhaupt die Beamten heutzutage, die sind ja alle so entsetzlich genau, ich hatte mal eine Freundin, das heißt keine richtige, die hatte auch einen Gasmann, ich sage Ihnen, das war einer, jedes Mal wenn der kam –«
Knittel sieht ein aussichtsvolles Dekollete, eine grüne Flasche und einen weißen Arm. Er muß es trotzdem tun. »Siebzehn Mark fünfunddreißig, wird das bezahlt? Sonst muß ich zumachen.«
Da wird die kleine Frau mit einem Mal sehr unfreundlich und holt das Geld aus der Puderdose: Wieso zumachen, das sei eine Frechheit, eine wehrlose Frau in der Wohnung zu überfallen, und gleich mit der Plombierzange auf einen los, das wäre Erpressung, und sie werde sich beschweren, überhaupt habe sie einen Vetter, der sei bei der Partei, und da könne er mal was erleben!
Knittel kennt diese Walze, er quittiert und ist schon wieder auf der Treppe.
Manchmal muß er in die Tiefe steigen, ausgewaschene Steinstufen hinunter in dumpfe Kellerläden, wo kleine Handwerker und Händler ihren mühseligen Erwerb betreiben. Da haust auch der Flickschneider, der am schmalen Tisch unter dem Kellerfenster alte Hosen auf neu bügelt. Hier ist Knittel bekannt. Ein kleines, durchsichtiges Mädchen trippelt ihm entgegen und gibt dem guten Onkel ein Händchen. Aber er kann nichts daran ändern, drei Rechnungen sind
Weitere Kostenlose Bücher