Heinz Strunk in Afrika
Sängerin im Abendkleid und zwei schnauzbärtige, osteuropäisch aussehende Musiker in gelben Hemden, Glitzersakkos und Pluderhosen vor einem Roland-Umhängekeyboard und einer Fender-Stratocaster. Wieso haben die keine einheimische Band? Egal. Genauere Informationen finden sich im Kleingedruckten:
Ewig Musik führte durch Rudi auf seinem Klavier mit einer Note von Frische durch, begleitet von Petr auf der Guitarre und sensationell Vocalist Karin welches deine Körper mit dem Rhythmus ihre Liede umziehen.
Steht da wirklich. Ohne Scheiß.
Vor der Muschel haben sich ungefähr einhundert Leute versammelt. Immerhin. Ich hole mir das nächste Glas Wein (5) und verziehe mich in die letzte Reihe. Im hinteren Teil der Bühne stehen bereits fertig aufgebaut Schlagzeug, Keyboard, Mikro, Bass und Gitarre.
Lautes Wummern kündet vom Beginn der Show. Nach wenigen Takten identifiziere ich den Verona-Feldbusch-Klassiker
Ritmo de la Noche
. Ein Off-Sprecher mit sich vor Begeisterung überschlagender Stimme: « AND NOW : IT ’S MINIDISCO TIME ! FOR ALL DA KIDS !» Aus den Untiefen des Backstage tanzt sich ein rhythmisch in die Hände klatschendes Animateurspaar, flankiert von einem Dutzend Kindern, in die Mitte der Bühne. Die Kids sind so zwischen sechs und zwölf, nur ein klobiger, großer Rotschopf könnte locker für zwanzig durchgehen. Sein Gesicht scheint aus mehreren, nicht genau passenden Teilen zusammengesetzt. Als wäre sein Kopf wie ein Apfel halbiert und dann nicht genau wieder zusammengefügt worden. Der arme Junge!
Die Kinder machen durch die Bank einen lustlosen Eindruck, nur eine Strebergöre versucht auf affige Erwachsenenart, das Publikum zu animieren. In dem männlichen Animateur erkenne ich einen der Kellner wieder, ein langer Lulatsch, dessen Nussknackerkopf auf einem rippigen Körper sitzt. Topspitzname: Boneman. Wahnsinn, vor ein paar Minuten hat er mich noch bedient, und jetzt sorgt er schon für Las Vegas pur! Seine Partnerin ist Mandy! Die von der Poolbar gerade eben! Die müssen sich in rasender Geschwindigkeit umgezogen haben. Ritmo, Ritmo de la Noche! Fade out. Boneman, aufgedreht, künstlich begeistert:
« WELCOME , LADIES AN GENTLEMEN , BONSOIR , MESDAMES ET MESSIEURS , BUENAS NOCHES , GUTEN ABEND , DAME UND HERRE , NOW IS MINIDISCO FOR ALL DA KIDS ! PLEASE PUT YOUR HANDS IN THE AIR !»
Als Nächstes
Hands up
, auch nicht mehr ganz taufrisch. Die Band hieß Ottawan oder so ähnlich. Siebziger. Ich kann den Text auswendig und singe leise mit: Bei
hands up
schütteln die Animateure ihre Hände aus, zu
give me your
machen sie eine fordernde Bewegung, und bei
all your love
werfen sie beide Arme in die Luft und gucken sich dabei verliebt an.
Hands up, baby, hands up, give me your heart, give me, give me your heart, give me, give me all your love, all your love.
Die Choreographie dürfte seit Einführung der Minidisco unverändert sein, jede Bewegung, jeder Handgriff, jede Geste, alles sitzt. Die Kinder machen mehr oder weniger mit, nur der Rotschopf hat Koordinationsschwierigkeiten und rudert verzweifelt mit Beinen und Armen. Boneman leistet Hilfestellung:
«Come on, Meissa, very good.»
«Yeah, Meissa, come on.»
«You got it, Meissa.» Meissa. Der Name passt genauso wenig wie alles andere. Oder gerade. Boneman spricht Meissa seltsam breit und plattdeutsch aus. Meister. Lustig, mir gefällt das, endlich gibt’s mal was zu lachen.
Let me be your Romeo, your wonder boy
And your super champ
Let me take you to the milky way
On a holiday, on a holiday
Follow me, why don’t you follow me?
Just come my way simply kiss me and say …
Hands up, lala lala, lalalala lalalalalala lalalala
Auf
Hands up
folgt der Ententanz mit der allgemein bekannten Choreographie:
Ellenbogen anwinkeln.
Daumen und Zeigefinger wie Entenschnäbel auf- und zuklappen.
Hände auf die Schultern legen und mit den Armen flattern.
In die Knie gehen und mit den Hüften wackeln.
Viermal in die Hände klatschen.
Als der Refrain einsetzt, singt mein Vordermann plötzlich mit schneidender Stimme: «Ja, wenn wir alle Englein wärrrrrrren, dann wär die Welt nur halb so schön …» Er rollt die r wie ein Wahnsinniger. Wärrrrrrren. «Wenn wir nur auf die Tugend schwörrrrrrrren, dann könnten wir doch gleich schlafen gehen.» Schwörrrrrrrren. Selten habe ich jemanden so herzlos singen hören. Weihnachten in der Wolfsschanze, so etwa muss es gewesen sein. Der Führer gibt den Takt an: Und wenn wir alle Englein wärrrrrrren.
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