Heinz Strunk in Afrika
Grabstätten, Synagogen, Festungen, Moscheen, Häfen, alte und neue Ruinen, Ausgrabungen, immer auf der Suche nach dem alles entscheidenden achten Weltwunder, sie können einfach nicht genug kriegen. Artefakte, Artefakte, Artefakte!
Die Wolfs. Das ist es! Realschullehrer Volker Wolf und Ehefrau Sabine. Spitznamen erfinden ist kein Quatsch, sondern eine hohe Kunst, denn sie müssen atomgenau den
Kern
eines Menschen erfassen. Oft liege ich erschreckend richtig. Ich nicke den beiden zu, sie nicken schlecht gelaunt zurück, konzentrieren sich dann aber gleich wieder auf ihre alkoholfreien Getränke. Fremder als wir können Menschen sich nicht sein. Eine Urlaubsfeindschaft bahnt sich an. Herrlich. Urlaubsfeindschaften sind ohnehin viel origineller als Urlaubsbekanntschaften. Ich bestelle bei
Mandy
«One beer and one white wine, please».
Durcheinandertrinken ist übrigens auch ganz gut.
Der Wolfsmann: «Hast du an deine Malariatablette gedacht?»
Wolfsfrau: «Ja, natürlich.»
Wolfsmann: «Gut.»
Sie trinken aus und gehen, ohne mich eines weiteren Blickes zu würdigen.
SMS von C.: «Sitze am Gate. Abflug verzögert sich um eineinhalb Stunden. Mindestens.»
Der mit dunklem Holz getäfelte Speisesaal ist enorm verwinkelt und verzahnt und verschachtelt. Um einmal an jedem Winkel gesessen zu haben, müsste man ein halbes Jahr Urlaub machen. Mein Zwergentisch steht direkt an einer Säule. Ich bin der Einzige, der allein essen muss.
«Herr, Strunk, Herr Strunk!» (Wieder Stimme aus dem Nichts) «Beschreiben Sie bitte das Buffet.»
«Ja.»
Das kalt-warme Buffet ist sehr groß und ansprechend angerichtet. Das Angebot ist riesig; alles sieht lecker aus: Wenn man genau hinschaut, lassen sich sicher dreißig Vorspeisen und Salate ausmachen und bestimmt die gleiche Anzahl an Nachspeisen. Es ist für jeden Geschmack etwas dabei: Fleisch, Fisch, Soup of the Day, Eintöpfe, Pizzas, Beilagen aller Couleur, Nudelspezialitäten aus Bella Italia. Auch an Kinder und Vegetarier und so wurde gedacht. An verschiedenen Holzkohlegrills, Woks und Pfannen kann man sich seine Wünsche
à la minute
brutzeln lassen. Trotz der hohen Temperaturen tragen die Köche schwere Kochuniformen mit Mütze. In Windeseile schnippeln, schneiden, braten, wenden, rühren, gießen, filetieren, dünsten, blanchieren sie die Köstlichkeiten aus aller Welt. Einer der Köche überragt seine Kollegen um Haupteslänge, mit seinen wulstigen Lippen und der fleischigen Nase sieht er aus wie ein Kannibale aus einem Cartoon.
«Das war wieder sehr schlecht, Herr Strunk, und der rassistische Ausfall am Schluss ganz und gar unerträglich. Belegen Sie bitte einen Kurs für kreatives Schreiben!»
«Kein Geld.»
Da sich ein zufriedenstellender Trainingseffekt
nur
in Kombination mit gesunder Ernährung erzielen lässt, entscheide ich mich für Steak und kleinen Beilagensalat (Rote Beete, grüne Gurke, gelbe Paprika) ohne Dressing. Der Salat schmeckt nach weniger als gar nichts, es ist, als hätte man dem Gemüse den Eigengeschmack weggezüchtet. Egal. Trennkost nennt man das. Ich werde der erste Mensch sein, der im Urlaub ab- statt zunimmt. Die Leute um mich herum mampfen, schaufeln und stopfen, als bestünde darin der Sinn des Lebens. Als fräßen sie alles, was man ihnen ins Maul stopft. Ich hole mir noch eine Frikadelle ohne alles. Sieht ganz normal aus, schmeckt aber nach nichts. Total ungewürzt. Wie dem auch sei, mein Ernährungskonzept ist dem der anderen Gäste überlegen. Außerdem habe ich einen uneinholbaren Informationsvorsprung: Den größten Erholungswert haben Reisen, auf denen nichts passiert. Nicht tolle Erlebnisse, neue Anregungen oder tolle Urlaubsbekanntschaften bewirken die Erholung, sondern die Nicht-Erkrankung, die körperliche Ruhe und
keine Gewichtszunahme.
Das alles wissen die nicht.
Das bescheidene Abendmahl ist schnell beendet. Und nun? Ein Unglückswurm, der sich zwecks seelischer Selbstbefingerung bereits um einundzwanzig Uhr im Bett verkriecht? Vor sich eine unförmige Zeitballung, pelzige Dämpfung, Isolationsfolter, funkelnde Stille, Zauber der Leblosigkeit. Liegen, liegen, liegen, bis alles mit allem verklebt?
Nein!
Da bekanntlich Formlosigkeit die Quelle allen Übels ist, beschließe ich, am Unterhaltungsprogramm teilzunehmen. Was wird überhaupt geboten? Einem Aushang an der Rezeption entnehme ich, dass erst Minidisco ist und danach die SUNSET - SHOWBAND zum Tanz aufspielen wird. Auf einem vergilbten Plakat posieren eine
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