Heinz Strunk in Afrika
Viertelstunde. Dreimal fünf Minuten. Ich gehe davon aus, dass es sich um einen einmaligen Ausrutscher handelt.»
«Jaja. Wie geht’s den Ohren?»
«Von einer frischen Unterhose gehen die Ohren leider auch nicht auf.»
Erregt deutet er auf den Holzelefanten, der neben ihm auf dem Tischchen liegt.
«Hier, schau dir das an! Riesengroß, sperrig. Wiegt mindestens ein Pfund. Schikane. Zeig mir die Hosentasche, in der man so etwas mit sich führen kann.»
Ich zucke mit den Schultern.
«Ewiges Ärgernis Hotelschlüssel. Um halb zehn wird das Buffet dichtgemacht. Los, Abmarsch, ich hab Hunger.»
So habe ich ihn ja noch nie erlebt. Aber nach den Strapazen ist es wohl kein Wunder. Ich muss ihm Zeit lassen, um runterzukommen.
Unablässig
eins, zwo
oder
eins, zwo, drei
oder
eins, zwo, drei, vier
oder
drei, vier
vor sich hin murmelnd schreitet er voran. Alle paar Sekunden sperrt er in Karpfenmanier seinen Kiefer auf und zu.
«Eins, zwo, drei. Eins, zwo.»
«Was soll das mit dem eins, zwo?»
«Ich hab das Gefühl, es könnte helfen. Dass sich die Sperre plötzlich löst. Der Pfropfen. Verstehst du?»
«Nein.»
So ein Quatsch.
Am Buffet wählt C. eine hochkalorische Variante mit ham, eggs, bacon, ketchup, bread, butter, coffee with milk. Ich begnüge mich mit frischem Obst. Misstrauisch linst er zu mir herüber.
«Was ist los mit dir, Bursche? Warum isst du nichts?»
«Ich ess ja. Aber eben anders. Trennkost. So ein Urlaub ist die ideale Gelegenheit, um mal ein anderes Ernährungskonzept auszuprobieren.»
«Aha, interessant. Trennkost. Du weißt doch gar nicht, was das ist.»
«Doch. Eiweiß und Kohlenhydrate nie zusammen. Ansonsten gibt es keine Einschränkungen. Natürlich ist es trotzdem ratsam, die Ernährungspyramide umzustellen.»
«Was? Was für ein Vieh?»
«Die Ernährungspyramide. In welchem Mengenverhältnis zueinander verschiedene Nahrungsmittel konsumiert werden sollten, wenn man sich gesund ernähren will»
«Dann mach mal. Ich bleibe bei
meiner
Pyramide, die schmeckt wenigstens. In meinem Zustand bedeutet nämlich schmackhaftes Essen die einzig verbliebene Freude.»
Mit der Begründung,
total ausgehungert
zu sein, holt er sich Nachschlag: Rührei mit Schinken, Würstchen, Toast. Dazu eine Handvoll Miniatur-Ketchuptütchen, fünf Milliliter, oder drei oder einer. Ich habe noch niemals so winzig kleine Tütchen gesehen. Wer in Gottes Namen erfindet so einen Schwachsinn? Und ohne Kerbe zum Aufreißen. Fluchend versucht C., der Zwergentütchen Herr zu werden, bei jedem Aufreißen gibt es einen obszönen und saftigen Schmatzer. Eine zeitraubende, trostlose Plackerei, bei der die Hälfte danebengeht, Hemd und Hose sind bald total eingesaut. Nachdem er die Vorbereitungen abgeschlossen hat, schiebt er sich, fortwährend
eins, zwo
murmelnd, die Sachen in rasender Geschwindigkeit rein. Ab und an unterbricht er die Schaufelei, schaut mich hilfesuchend an und deutet achselzuckend auf seine Ohren. Lässt sich ein trostloseres Frühstück vorstellen? Es läuft jetzt schon schief, was schieflaufen kann: Krankheit, Gewichtszunahme, außerplanmäßige Ausgaben.
Zu meiner Überraschung plädiert C. dafür, die auf elf Uhr anberaumte Welcome-Veranstaltung aufzusuchen; vielleicht, so seine Begründung, wären die gar nicht so sinnlos, wie bisher immer angenommen. Bis es so weit sei, wolle er sich ausruhen. Ob er «mich auffordern dürfe, ihm ein wenig Gesellschaft zu leisten». Je weniger es drauf ankommt, desto gestelzter fällt bei C. die Sprache aus, desto förmlicher das Benehmen.
Ab zum Big Pool. C. schwimmt, seinen Kopf krampfhaft über Wasser haltend, eine halbe Bahn, klettert ungeschickt über den Beckenrand und lässt sich in Käfermanier auf die Liege plumpsen. Verzweifelt deutet er auf seine Ohren.
«Wenn ich mit dem Kopf untertauche, bin ich ganz hinüber.»
Er steckt sich eine Zigarette an. Schweigen. Hitze. Senioren. Ein zusammengeschrumpeltes, schwarzbraun gebranntes Greisenpärchen liest quasi synchron in der Bildzeitung vom Vortage; synchron blättern sie auch um. Das ist Timing, denke ich, besser kann man nicht aufeinander eingespielt sein. Mann und Frau, Frau und Mann. Die schlohweißen Borsten, die ihm aus den bizarrsten Stellen seines Körpers sprießen, heben sich deutlich von der verkohlten Haut ab. Seine Frau hat ein frisch gestochenes Seepferdchen auf der Wade. Ätzender Trend, dass sich jetzt auch Greise tätowieren lassen. Wollen einfach nicht alt werden, die Alten.
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