Heinz Strunk in Afrika
noch auf den Beinen halten. Mein Gott, warum kühlt es denn nicht wenigstens in der Nacht ein bisschen ab?
«Eins, zwo, drei, eins, zwo, eins, zwo.»
C. steckt sich die nächste Zigarette an. Er hat bestimmt schon zwei Schachteln geraucht, und das in seinem Zustand. Plötzlich ein lautes Rascheln, Stapfen, das Geräusch brechender Zweige. Ein Überfall, jetzt heißt es die Beine in die Hand nehmen! C. greift nach meiner Hand.
«Was ist das? Bitte lass mich nicht im Stich.»
Doch statt eines Schlägerkommandos huscht eine dürre Frau aus dem Gebüsch:
«Hello, guys. How are you? Where are you from?»
Sie ist sicher nicht älter als dreißig, aber selbst in der Dunkelheit sieht sie aus, als wäre ihr Körper von ansteckenden Krankheiten befallen. Ein seltsam verschwommenes, wie betäubt wirkendes Geschöpf. Sie legt ihren Kopf schief und lächelt uns aus zahnlosem Mund an. Dann:
«Fuckifucki, suckisucki?»
Pause.
«Fuckifucki, suckisucki?»
C., geistesgegenwärtig: «No thank you.»
Wortlos verschwindet sie, wie sie gekommen ist.
C. schaut mich vielsagend an:
«Waldnutten.»
Freakshow
Als ich gegen sechs Uhr wach werde, ist mir speiübel. Auch das noch. Ein ganz und gar unerträglicher, süßlich-stechender Geruch liegt in der Luft, wie nach vergorener, medizinischer Salbe. Die Decke! Irgendwann in der Nacht bin ich vor Kälte schlotternd aufgewacht, habe das Zimmer nach einer weiteren Decke durchsucht und bin schließlich im Schrank fündig geworden. Jetzt, bei Tageslicht, sehe ich, dass sie total verdreckt ist. Und stinkt, als hätte sie meinem Vorgänger als Leichentuch o.Ä. gedient. Ich knülle den Fetzen zusammen und stopfe ihn zurück in den Schrank, schalte den Ventilator ab und reiße das Fenster auf. Gegen sieben schlafe ich ein. Gegenstand meiner Träume sind zur Abwechslung mal keine Fernsehzeitschriften oder Waschmaschinen, sondern die Festspiele in Bayreuth. Ich spaziere zwischen den Beinen meiner Eltern auf dem roten Teppich durch ein Spalier von Fotografen zum Königsbau. Meine Eltern sind riesig groß; als ich zu ihnen hochschaue, sehe ich, dass es sich nicht um meine leiblichen Eltern handelt, sondern um Angela Merkel in Begleitung ihres Ehemanns Prof. Sauer. Frau Merkel trägt ein lindgrünes, wallendes Kleid, Prof. Sauer einen fleischfarbenen Overall. Vor dem Eingang des Festspielhauses ist eine Miniatur-Speisetafel mit winzigen Stühlchen aufgebaut. Frau Merkel verkündet mit schnarrender Stimme, Kinder seien beim
Parsifal
verboten, sie müsse mich deswegen hier absetzen, bis die Vorstellung vorbei sei. Ich bekomme es mit der Angst zu tun und kralle mich an Prof. Sauers Beinen fest. Meine Versprechungen, mich
kindgerecht
zu verhalten, nützen nichts, alles Betteln und Jammern und Flehen und Lamentieren ist umsonst, Mutter trennt mich mit einem Handkantenschlag von Prof. Sauer, dann verschwinden sie im Getümmel. Ich setze mich an die Speisetafel und warte, vor Angst zitternd, dass mir aufgetragen wird. Es drängen jedoch immer mehr Menschen in den Raum. Schließlich halte ich es nicht mehr aus und will fliehen, doch vergebens, ich werde gegen eine Säule gedrückt, bekomme keine Luft mehr, und mir wird schwarz vor Augen.
Aus.
Falls der Traum etwas bedeutet, dann sicher nichts Gutes. Mein Gott, ist es schon wieder heiß, bitte, bitte, schenke dem Land eine Abkühlung und mir meinen Koffer. Heute Vormittag wird die Maschine aus Düsseldorf erwartet, mit meinem Gepäck an Bord. Es wäre sicher ratsam, ihn persönlich in Empfang zu nehmen; für einen herrenlosen Luxuskoffer der Marke Rimowa gibt es sicher jede Menge Interessenten. Aber die Vorstellung, mir bei sengender Hitze am Mombasa-Airport die Beine in den Bauch zu stehen, ist ganz und gar unerträglich. Entweder der Koffer kommt von alleine, oder er kommt eben nicht.
Zehn nach acht, um Punkt halb neun wartet C. Wenn ich mich beeile, kann ich vorher noch die Stinkedecke an der Rezeption abgeben und mir eine neue aushändigen lassen. Mit dem Knäuel unter dem Arm marschiere ich über das Gelände. Fleißige Bienchen decken Tische auf, fischen Insekten aus dem Pool, rücken die Liegen zurecht oder trimmen den Rasen. Eine Hotelanlage dieser Größenordnung ist ein pulsierender Organismus.
Ich lege die Decke auf den Tresen, setze ein verbindliches Gesicht auf und warte ab.
Gimme hope, Jo’anna …
Der Rezeptionist
(Mike)
telefoniert und tut so, als wäre ich nicht vorhanden. Acht Uhr siebzehn, spätestens um acht Uhr
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