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Heinz Strunk in Afrika

Heinz Strunk in Afrika

Titel: Heinz Strunk in Afrika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Strunk
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fällt schlaff zur Seite, und er schläft erneut ein.
    Plötzlich kommt in Babyman Bewegung. Ein Anfall, ein Krankheitsschub? Sein ganzer Körper beginnt zu beben, die Augenlider flackern, und wie unter Zwang fährt er sich mit ruckartigen Bewegungen durchs Haar. Dann, als könne er dem ungeheuren inneren Druck nicht mehr standhalten, bricht aus ihm heraus: unerträgliches, irres Gefasel, das weiß ich, ohne auch nur ein Wort zu verstehen. Seine Mutter hört nicht zu, sie reagiert überhaupt nicht, sie kennt das. Die Lautstärke des Monologs schwillt an, und Babyman taucht immer tiefer ab in seine hart gewordene Wahnwelt …
    … er will einfach nicht aufhören. Wie Laienprediger, die in Fußgängerzonen imaginäre Auditorien missionieren und denen es egal ist, ob irgendjemand zuhört. Babyman hat sich schon zu weit aus der Welt entfernt. Unvermittelt sackt seine Rede ab, verrinnt in den Löchern, die er in die Luft starrt, und er sinkt zurück in seine Larvenhaltung.
     
    Als um halb eins die Trommeln rufen, rafft die Mutter leicht panisch die Sachen zusammen, nimmt ihren Sohn bei der Hand und hetzt los. Aus C.s rechtem Nasenloch läuft ein dünnes Rinnsal, aber er schlummert so friedlich, dass ich ihn nicht wecken mag. Vielleicht schläft er sich gesund, Heilschlaf nennt man das; wenn er aufwacht, ist der Druck auf wundersame Weise verschwunden, und alles war nur ein böser Traum. Ich verrücke vorsichtig den Sonnenschirm, bis mein kranker Freund wieder ganz im Schatten liegt. Wie aufopferungsvoll ich mich um ihn kümmere, wie viele Gedanken ich mir mache, wie sehr ich um sein Wohl besorgt bin. Vorbildlich.
    Mittagessen ist was für Schwächlinge. Auch C. wird es guttun, mal eine Mahlzeit ausfallen zu lassen. Kranke Tiere in freier Wildbahn fasten instinktiv. Die Verdauungstätigkeit macht ein Drittel des Grundumsatzes aus, Kraft, die dann nicht für die Genesung zur Verfügung steht. Und außerdem: Mangel ist die Vorbedingung jedes Genusses. Jedem Vergnügen muss der Schmerz vorhergehen, der Schmerz ist immer der Erste. Laber, laber.
    Ich gehe in den Pool und genieße den herrlichen Rundblick über die Anlage. Wirklich herrlich. Die Sonne wendet die Aufmerksamkeit von der intellektuellen Selbstschau auf die sinnlich erfahrbaren Dinge. Sie betäubt und verzaubert Verstand und Gedächtnis dergestalt, dass die Seele vor Vergnügen ihren eigentlichen Zustand vergisst. Sagt man. Egal.
    Von meinem verborgenen Aussichtspunkt aus kann ich das bunte Treiben beobachten, ohne selbst gesehen zu werden. Vielleicht ertappe ich ja jemanden bei
Unregelmäßigkeiten
. Taschendiebstahl. Mundraub. Verdächtige Telefonate. Kontrollzwang ist im deutschen Genpool verankert, alle Deutschen sind im Kern Blockwarte, Privatsheriffs, Schnüffler, Denunzianten. Nachdem ich meinen nassen Beobachtungsposten wieder aufgegeben habe, fühle ich mich irgendwie erschlankt. Ein seltsames Phänomen, dass ein mit Wassertropfen überzogener Körper sich dünner anfühlt als ein furztrockener. C. schläft friedlich wie ein Säugling, kein Rasseln, kein Schniefen, kein Schnarchen, das
kann
nur Heilschlaf sein. Genau der richtige Zeitpunkt, eine Trainingseinheit einzuschieben: Um die tiefen Muskelfasern mit hoher Erregungsschwelle zu erreichen, ist schweres Training der Grundübungen notwendig. Gerade Anfänger sollten das Prinzip der umgekehrten, abgestumpften Pyramide unter Berücksichtigung des Überlastungsprinzips in den Vordergrund stellen. Ziel des Krafttrainings ist, mit minimalem Aufwand ein Maximum an Erfolg zu erzielen.
     
    Vielleicht sollte ich den nächsten Urlaub in einem abgeschiedenen Kloster verbringen. Statt Alkohol und Glücksspiel Askese und Selbstbeschränkung. Strenge Exerzitien. Heilfasten. Leibesertüchtigung. Gebete. Naja, alles zu seiner Zeit. C. schläft noch immer tief und fest und friedlich, abermals verrücke ich seinen Schirm. Jetzt mal was lesen. Ian McEwan vs. Lemmy Kilmister,
White Line Fever
vs.
Abbitte
, Hochliteratur vs. Trash. Tja, denke ich, während ich den Klappentext von
Abbitte
studiere, darauf als Goldstandard hat sich die internationale Literaturkritik geeinigt, da kann ich mir ein schönes Scheibchen von abschneiden. Ich bin ganz gut im Scheibenabschneiden, schließlich begreife ich mich als lernendes System. Wenn das System aufhört, lernend zu expandieren, spricht man von einer systemischen Krise. Für Ian McEwan hat es Literaturpreise im Dutzend gehagelt: unter anderem Booker Prize, Shakespeare Prize

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