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Heirate keinen Arzt

Heirate keinen Arzt

Titel: Heirate keinen Arzt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Tibber
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nur raten, solche Ideen vorläufig für dich zu behalten. Er kommt jetzt in das Alter, wo ihn alles, was wir sagen, in die entgegengesetzte Richtung treiben wird.«
    Wie gut Mutter kleine Jungen verstand! Aber das war auch nötig, da sie ihrer zwei — Vater und mich - in ihrer Obhut hatte.
    Ich behielt meine Überzeugung bei, einst auf dem Führersitz eines Londoner Autobusses zu thronen, bis mit Mutter, wie mir schien, über Nacht ein plötzlicher Wechsel vor sich ging. Aus der immer beschäftigten, lächelnden Trösterin, die ich im Hause gewohnt war, stets um mich zu wissen, wurde eine nicht wiederzuerkennende Fremde, deren Gestalt sich unter der Bettdecke kaum abzeichnete. Mutter so zu sehen war schlimm genug, noch mehr aber regte mich, wie ich still auf den Zehenspitzen treppauf, treppab schlich, die Wandlung auf, die mit Vater vor sich gegangen war. Er redete fast kein Wort mit mir, schien das Lächeln verlernt zu haben und beriet sich dauernd mit verhaltener Stimme mit Dr. Mather, der mehrmals täglich in Mutters Schlafzimmer hinaufging. Eines Tages erschien dann, nachdem Vater und Dr. Mather noch länger als gewöhnlich miteinander geredet hatten, ein zweiter Arzt. Er kam nicht, wie Dr. Mather, in einem Austin mit zwei kleinen Hündchen auf dem Rücksitz, sondern in einem Rolls-Royce, den ein Chauffeur lenkte - ein uniformierter Mann mit strengem Gesicht, der sich aber gleichwohl erweichen ließ, mir zwei Zigarettenbildchen zu schenken. Ich weiß nicht mehr, wie der neue Arzt aussah, sondern nur, daß es Mutter bald anfing besser zu gehen, nachdem er sie besucht hatte. Kaum wanderte sie wieder im Hause umher, kaum war alles wieder ins normale Gleis und Vaters Lächeln auf sein Gesicht zurückgekehrt, als ich ankündigte, daß der Bus Nr. 13 auch fürderhin ohne meine Mithilfe fahren müsse und ich Arzt werden wolle. Nicht so einer wie Dr. Mather, sondern mit einem Rolls-Royce. Mehr konnte Vater sich nicht wünschen. Als ich später meine Biologie, Physik, Chemie und nachher Anatomie und Physiologie studierte, lernte Vater alles mit. Oftmals fand ich ihn, wenn ich heimkam, mit aufgestülpten Hosenbeinen oder Ärmeln vor Greys auf dem Boden aufgeschlagener »Anatomie« sitzen und seine Knochen abfühlen. Mutter nannte ihn nur noch »den Spezialisten«, und ich möchte schwören, daß er sämtliche Prüfungen bestanden haben würde. Ich hatte das beste Mikroskop, das dazumal auf dem Markt war - nur stand es leider mehr im Fenster des Pfandleihers als auf meinem Schreibtisch, denn so großzügig Vater sich auch zeigte, waren wir Studenten in Cambridge eben doch immer blank. Als ich dann nach London zurückkam und mein klinisches Jahr absolvierte, verbrachten Vater und ich allabendlich Stunden miteinander, um, das Stethoskop in den Ohren, unseren gegenseitigen Herz- und Atemgeräuschen zu lauschen oder einander Blutproben zu entnehmen.
    Jedesmal, wenn es zum Mittagessen Geflügel gab, konnte Vater es sich nicht versagen, zu Mutters Abscheu die Knochen in die Höhe zu halten und ihre Lage im Körper zu diskutieren.
    Es war Oktober, und wir hatten alle beide begonnen, ernstlich für die kommende Prüfung zu büffeln, als sie Vater eines Tages aus dem Geschäft heimbrachten. Er war nicht mehr fähig zu sprechen und auf der einen Seite vollständig gelähmt. Ich wußte genug, um die Prognose zu fürchten, und keiner wußte genug, ihm Besserung zu bringen. Innerhalb eines Monats hatte er einen zweiten Schlag, und ehe sechs Wochen um waren, war er tot. Danach hatte ich keinen Mut mehr, ins Staatsexamen zu steigen, und einzig Mutters beharrliches Zureden, daß dies es ja sei, was sich Vater am meisten gewünscht habe, konnte mich bewegen, die Nase weiter in die Bücher zu stecken und mir das Gehirn für die Prüfung vollzupfropfen. Ich kam durch, hatte aber kein erhebendes Gefühl dabei, denn »der Spezialist« war nicht mehr da, um meine Leistung zu teilen. Fast ein Jahr verging, bis meine niedergedrückte Stimmung sich verlor, und nur noch beim Nahen des Herbstes kamen der Groll und die Bitterkeit über den jähen Tod meines Vaters über mich.
    Sogar Mrs. Little hatte den Temperaturwechsel wahrgenommen. Wenn sie meine zwei kläglichen Frühstückswürstchen vor mich auf den Tisch stellte, bemerkte sie, die Luft habe etwas Beißendes, und ich stimmte ihr mit einem Knurren zu. Sie kannte meine Abneigung gegen Gespräche am Frühstückstisch, daher wunderte es mich, als sie eines Morgens dennoch neben mir stehenblieb,

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