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Heirate keinen Arzt

Heirate keinen Arzt

Titel: Heirate keinen Arzt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Tibber
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Ohrenspiegel einführen zu können. Während ich dies tat, stieß sie einen gellenden Schrei aus und danach ein Wort, das selbst mir mit meinem bescheidenen Sprachschatz alles andere als schmeichelhaft klang, und wich mir aus, indem sie auf den danebenstehenden Stuhl rückte.
    »Pas là. Là«, sagte sie und sah mich nun entschieden bösartig und wutentbrannt an. Dabei zeigte sie auf eine Stelle unterhalb ihres Ohres, wo ich nun eine unverkennbare Schwellung wahrnahm.
    Vorsichtig näherte ich mich ihr wieder und befühlte mit feenhaft zarten Fingern den Knoten.
    »Ouvrez la bouche.«
    Sie öffnete die Lippen.
    »Plus!« beschwor ich sie.
    Sie suchte sich wiederum zu wehren und schimpfte jetzt mit offensichtlicher Anstrengung. Alles, was ich herauszuhören vermochte, war etwas wie »Notre Dame«, und dieser Zusammenhang war mir unklar.
    Wieder auf meinem Schreibtischstuhl, kündigte ich ihr an:
    »Mademoiselle, vous avez les oreillers.«
    »Comment?«
    »Les oreillers.«
    Ich fühlte einen gewissen Stolz, denn wenn es ein französisches Wort gab, dessen ich mich aus meiner Schulzeit entsann, dann war das die Bezeichnung für »Mumps«. Auch Masern, Keuchhusten und Gicht konnte ich übersetzen.
    Endlich schien die Münze im Automaten herabgefallen zu sein. Mademoiselle Duvert begann unbeherrscht zu kichern und einmal ums andere so etwas wie »oreillers« zu brummeln. Was ihr so belustigend an einem Mumps vorkam, vermochte ich nicht zu enträtseln — doch die Zeit verstrich, und ich wollte gern mit meiner Sprechstunde vorankommen.
    Es gelang mir, herauszufinden, wo sie beschäftigt war, und so sagte ich ihr, daß ich ihrer Dame telefonisch die nötigen Erklärungen darüber geben wolle, was sie zu tun hätte.
    Das Gesicht halb von Lachen, halb von Tränen, die ihre Wimpernbemalung bedrohten, zuckend, erhob sich Mariette.
    »Au revoir, Docteur«, brachte sie gerade noch mühsam hervor, dann unterlag sie wiederum einem hoffnungslosen Lachkrampf.
    Ich drückte auf den Knopf meines Schaltbretts und war buchstäblich erleichtert, einen vernünftigen Menschen wie Mrs. Sweeney eintreten zu sehen. Zugleich fiel mir ein, daß sie Lehrerin sei.
    »Ach, Mrs. Sweeney«, sagte ich daher so beiläufig wie möglich, »wissen Sie vielleicht, was >Mumps< auf Französisch heißt?«
    »Mumps? O ja - les oreillons.«
    »Oreillons?«
    »Jawohl.«
    »Was bedeutet aber dann um Himmels willen >oreillers    »Bettkissen«, belehrte mich Mrs. Sweeney - und nun verzieh ich Mademoiselle Duvert ihre Heiterkeit...
    Allmittäglich nach dem Lunch, wenn ich nicht gerade mit Loveday Golf spielte oder mich der Besuchsrunde im Bezirksspital anschloß, suchte ich ein paar Stunden für die Buchhaltung meiner Praxis zu erübrigen. Das war während der Sommermonate ganz gut gegangen, weil ich imstande gewesen war, die Mehrzahl meiner Hausbesuche am Morgen zu erledigen und nach Tisch nie etwas Besonderes zu tun hatte. In den letzten paar Wochen aber fand ich täglich eine wachsende Anzahl von Besuchen auf meiner Liste, und meine freien Frühnachmittagsstunden hatten sich fast gänzlich verflüchtigt. Das komplizierte die Sache sehr, und das Durcheinander auf meinen Kartothekschränken wurde nachgerade erschreckend. Arztberichte, Notizen über Patienten im Krankenhaus, malerische pharmazeutische Reklamen und ungelesene medizinische Zeitschriften häuften sich und fingen an, die Hinterwand zu bedecken. Ich trat in die Fußstapfen meines Vorgängers und schämte mich vor mir selbst, weil ich so abfällig über ihn geurteilt hatte. Kein Wunder, daß Mrs. Little sich beklagte, sie könne nicht abstauben, wenn all das Zeug da herumliege.
    Die Praxis im Rahmen des Nationalen Gesundheitsdienstes erforderte den dauernden Gebrauch zahlloser Formulare, die mir ewig zur ungeeignetsten Zeit ausgingen. Es wurde von mir verlangt, daß ich einen Vorrat an Rezeptblocks, Krankenkassenzetteln (Nr. 1, 2 und 3), ferner Aufnahmeformulare, Briefumschläge für offizielle Berichte, für Mutterschaftsfürsorge, Augenprüfungen und anderes mehr stets zur Hand hatte, ganz zu schweigen von solchen für Krankheiten mit Anzeigepflicht, Todesbescheinigungen usw. Außerdem verfügte ich über eine ganze Reihe weniger wichtiger Vordrucke, deren Vorhandensein ich meist nicht beachtete, zum Ärger der Buchhalterinnen im Büro des Gesundheitsamtes.
    Meine Nachmittagsarbeit war, milde ausgedrückt, langweilig und meinem Temperament unangemessen. Besonders das Einordnen all der Formulare war

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