Heirate nie einen Italiener
“Doch du solltest mal einen sizilianischen Frühling erleben. Die Farbenpracht ist unbeschreiblich.”
“Du kannst es wohl kaum erwarten, endlich wieder nach Hause zu kommen, oder?”
“Das kann ich nicht leugnen”, gestand er freimütig. “Was nicht heißen soll, dass ich die Zeit hier nicht genossen habe”, setzte er rasch hinzu.
“Das freut mich – zumal es mir nicht anders ergeht.”
“Ich hoffe nur, deine Eltern verleiden es dir nicht nachträglich noch. Immerhin hatten sie ja bestimmte Pläne mit uns.”
“Ich sage ihnen einfach, dass ich mich nicht zwischen Erik und dir entscheiden konnte und du es leid warst, hingehalten zu werden. Sicherheitshalber warte ich damit aber, bis du außer Landes bist.”
“Das ist sehr rücksichtsvoll von dir”, erwiderte er lächelnd. “Wenn sich deine Eltern erst damit abgefunden haben, dass du ihn mir vorziehst, ist ihnen Erik als Schwiegersohn vielleicht gar nicht so unsympathisch.”
Helen hätte sich vor Wut darüber, dass sie durch ihre Unbedachtheit Lorenzo zu dieser Bemerkung geradezu eingeladen hatte, die Zunge abbeißen können. Andererseits hatte ihn niemand gezwungen, auf ihre Dummheit mit einer doppelt so großen zu reagieren.
“Das setzt allerdings voraus, dass ich mich entscheide, ihn zu heiraten”, wandte sie mürrisch ein. “Übrigens werde ich ab sofort mit ihm zusammenarbeiten. Um genau zu sein, bereits heute Abend. Das Elroy gibt einen Empfang, und wir …”
“Sieh dich bloß vor”, fiel Lorenzo ihr ins Wort. “Du weißt, wie solche Anlässe enden können.”
Helen wusste nicht, ob es Absicht oder ein Versehen gewesen war, dass Lorenzo wenige Minuten vor seinem Abflug ein Thema anschnitt, um das sie seit Wochen einen großen Bogen gemacht hatten. Doch seinem Blick war deutlich anzusehen, dass er sich genau wie sie in jedem Detail an jenen Kuss erinnerte, der so spielerisch begonnen hatte, bevor er unvermittelt in blanke Leidenschaft umgeschlagen war. Und wie sie wusste er, dass die Erinnerung daran unauslöschlich war.
“Von Erik ist nichts dergleichen zu befürchten”, sagte sie endlich. “Er ist vom Scheitel bis zur Sohle ein Gentleman.”
“Dieser Vorwurf ist mir bis jetzt erspart geblieben.”
Sein Lächeln stürzte Helen erneut in tiefe Konflikte, weil es ihr den Gedanken, dass er sie gleich verlassen würde und sie nicht sicher sein konnte, ihn je wiederzusehen, schier unerträglich machte.
“Wenn du losmusst, sag es nur.” Lorenzo wirkte verlegen, denn ihr plötzlicher Stimmungsumschwung war ihm nicht entgangen. “Nicht dass du meinetwegen Ärger bekommst.”
“Ich bringe dich noch bis zum Flugsteig”, erwiderte sie traurig. “Dann muss ich wirklich zurück.”
Die Minuten bis zum Abflug verrannen, und Lorenzo wurde zunehmend nervöser. “Meine E-Mail-Adresse hast du doch?”, vergewisserte er sich bereits zum zehnten Mal, um sich die Antwort zum zehnten Mal selbst zu geben. “Natürlich hast du sie, und ich habe deine. Dann können wir ja in Kontakt bleiben.”
“Die Passagiere des Fluges nach Rom werden gebeten …”
Ohne das Ende der Durchsage abzuwarten, standen Helen und Lorenzo auf und gingen die wenigen Schritte bis zum Flugsteig. An der Absperrung blieben sie stehen und sahen sich schweigend an.
“Hier trennen sich unsere Wege dann wohl.” Lorenzo hatte als Erster die Sprache wiedergefunden. “Auf Wiedersehen …” sagte er, und über sein Gesicht huschte ein hinreißendes Lächeln, bevor er hinzusetzte: “Elena.”
Sie ballte die Hand zur Faust und hielt sie ihm gespielt drohend ans Kinn. Lorenzo umfasste die Hand und küsste sie.
“Auf Wiedersehen, Helen”, sagte er leise, als er den Kopf wieder gehoben hatte.
“Auf Wiedersehen”, flüsterte sie kaum hörbar, weil ihr die Stimme versagte.
Bevor er ging, beugte sich Lorenzo vor und küsste sie zärtlich auf die Wange. Helen sah ihm nach, bis er hinter der Sicherheitsschleuse verschwunden war.
Auf dem Flughafen wimmelte es von Menschen, doch Helen fühlte sich einsamer als je zuvor in ihrem Leben. Anstatt umgehend zurück zum Hotel zu fahren, ließ sie sich ziellos durch die riesige Halle treiben, bis sie, ohne es sich vorgenommen zu haben, pünktlich zur Abflugszeit vor dem Aussichtsfenster stand, von dem aus man die Startbahn überblicken konnte.
Ohne jede sichtbare Regung beobachtete sie, wie die Maschine nach Rom auf die Startbahn einbog, immer schneller wurde und schließlich abhob, um kurz darauf in den Wolken zu
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