Heirate nie einen Italiener
ich gar nicht, wem von beiden ich gehorchen soll. Und wenn Bernardo Angie doch noch heiratet, muss ich mich wohl dreiteilen, um allen gerecht zu werden.”
Lorenzos kleine Stegreifvorstellung bewirkte, dass Helen vor Lachen fast keine Luft mehr bekam.
“Du solltest mich lieber bemitleiden, als dich über mich lustig zu machen”, beschwerte er sich.
“Ich mache mich gar nicht lustig”, widersprach sie. Doch weil es alles andere als glaubhaft klang, nahm sie ihn kurzerhand in die Arme.
Augenblicklich tat er es ihr nach, und so standen sie eng umschlungen in der Küche. Mit einem Mal empfand Helen eine Sicherheit und Geborgenheit, die ihr im Alltag allzu oft versagt blieb. Ihr war, als könnte sie endlich aufhören zu kämpfen und einfach nur genießen, dass jemand in ihrer Nähe war, dem sie nichts beweisen musste. Und je mehr die innere Anspannung von ihr abfiel, umso mehr brach sich die Erschöpfung Bahn, unter der sie seit Tagen litt.
“Helen.”
“Ja?” Sie schreckte förmlich auf, als Lorenzos Stimme wie von ferne an ihr Ohr drang.
“Du schläfst ja im Stehen ein.”
Sie sah ihn benommen an. “Bin ich wirklich eingeschlafen?”
“Allerdings”, bestätigte Lorenzo. “Dass ich kein Casanova bin, war mir ja klar, aber dass ich wie eine Schlaftablette auf dich wirke, trifft mich tief.”
“Das tust du ja gar nicht”, erwiderte Helen besänftigend. “Ich fühle mich nur so sicher in deiner Nähe.”
“Du machst es nicht besser, wenn du der Kränkung eine Beleidigung hinzufügst”, protestierte er lächelnd.
“Ich sollte wohl lieber an den Schreibtisch zurückkehren, bevor ich noch mehr Unheil anrichte”, sagte Helen, ohne sich von der Stelle zu bewegen. Sie fühlte sich, als würde sie unter einem Bann stehen, dem sie sich nicht entziehen konnte.
Lorenzo nahm ihr schließlich die Entscheidung ab, indem er sich vorsichtig von ihr löste.
“Worauf wartest du noch?”, fragte er und bemühte sich, den Tonfall eines tyrannischen Ehemannes zu treffen. “Marsch, marsch an die Arbeit. Das ist ein Befehl.”
“Ich war nicht besonders überzeugend, nicht wahr?”, fragte er, weil Helen ihn eher mitleidig als beeindruckt ansah.
“Dir fehlt eben die Übung”, tröstete sie ihn.
Kaum saß sie am Schreibtisch, brachte Lorenzo ihr eine Tasse Mokka, bevor er sich wortlos in die Küche zurückzog.
Doch auch der Kaffee konnte Helens Müdigkeit nicht vertreiben, und so legte sie sich aufs Sofa, um für einige Minuten die Augen zu schließen. Das Geräusch der Wohnungstür ließ sie jedoch aufschrecken.
“Was machst du denn hier?”, fragte Dily überrascht, nachdem sie das Licht eingeschaltet hatte. “Ich dachte, du liegst längst im Bett.”
“Wie spät ist es … schon zwei Uhr?”
Schlagartig wurde ihr bewusst, dass Lorenzo die Wohnung still und leise verlassen hatte, um sie, Helen, nicht zu wecken. Als sie Dily in die Küche folgte, glaubte sie ihren Augen nicht. Der Raum strahlte und glänzte wie neu, und alles stand an seinem gewohnten Platz.
Endlich entdeckte sie auch den Zettel auf der Anrichte.
Du hast so friedlich geschlafen, dass ich es nicht übers Herz gebracht habe, Dich zu wecken. Ich hoffe, Du hast etwas Schönes geträumt.
Lorenzo
Lorenzos zärtliche Worte und sein rücksichtsvolles Verhalten rührten Helen zutiefst – bis zu dem Augenblick, in dem sie sich tatsächlich an einen Traum zu erinnern meinte. Anders konnte sie sich zumindest nicht erklären, dass sie sich plötzlich einbildete, im Schlaf die leichte Berührung seiner Lippen auf ihren gespürt zu haben.
4. KAPITEL
H elen hatte sich angeboten, Lorenzo zum Flughafen zu bringen. Doch als sie sah, wie er sein Gepäck aufgab, war sie nicht mehr sicher, ob das eine gute Idee gewesen war. Der Abschied würde jedenfalls nicht leichter werden.
“Darf ich dich noch auf einen Drink einladen?”, fragte Lorenzo, nachdem er eingecheckt hatte.
Sie gingen in eine Bar, und Lorenzo bestellte für Helen einen Orangensaft und für sich einen Scotch. Danach setzte ein bedrückendes Schweigen ein, weil keiner von beiden wusste, wie er mit der Situation umgehen sollte.
“Hast du auch nichts vergessen?”, erkundigte sich Helen, um irgendetwas zu sagen.
“Ich glaube nicht”, erwiderte Lorenzo. “Und wenn, dann ist es jetzt ohnehin zu spät.”
“Wenigstens ist das Wetter nicht so unfreundlich wie bei deiner Ankunft”, versuchte sie erneut ein Gespräch in Gang zu bringen.
“Da hast du recht”, antwortete er.
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