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Heiraten für Turnschuhträgerinnen

Heiraten für Turnschuhträgerinnen

Titel: Heiraten für Turnschuhträgerinnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Filippa Bluhm
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Gasthaus zur Bärentatz und mich in irgendeine ordentliche Kneipe setzen, bis alles vorbei ist.
    Ich kenne Tante Rosi seit allenfalls zwei Minuten, da zupft sie bereits an meinem Ausschnitt herum – Mann, das scheint ja schnell zu gehen, dass ich voll zur Familie gehöre. Sie tut, als sei ich ihre Tochter! Und ich lasse es über mich ergehen! Sie tätschelt mir die Wange und streicht mir eine Locke aus dem Gesicht, als mich Georgs Muttervon hinten an den Schultern nimmt und stolz sagt: »Ja, das isse!«
    Ich lächle höflich und sehe mich nach Georg um, aber der steckt gerade im Busen einer ihn herzlich an sich drückenden Tante fest, die ich noch nicht kennengelernt habe. Ihr voluminöser Leib ist ganz in einen glitzernden türkisfarbenen Sari gehüllt. Ich dachte, wir seien im Ennepe-Ruhr-Kreis? Ich bekomme Angst.
    »Und das ist Georgs Onkel Albert!«
    Meine Schwiegermutter in spe packt mich an den Schultern und bugsiert mich an Tante Rosi vorbei in Richtung eines Mannes, der ein Hemd mit Blumenprint und einen Siebzigerjahre-Porno-Schnauzer trägt.
    »Soso«, sagt Onkel Albert und mustert mich von oben bis unten, ehe er mir die Hand drückt. »Du bist also Georgs Glücksmarie.« Er grinst widerlicher als Til Schweiger, und ich verfluche mich dafür, dass ich ausgerechnet heute mein gutes Kleid und meine Strichmädchen-Stiefel mit den hohen Absätzen angezogen habe. Ich hatte gedacht, ein bisschen Eleganz würde mir bei diesem Anlass zum Vorteil gereichen. Stattdessen ringe ich um mein Gleichgewicht, emotional und statisch.
    »Georgs Glücksmarie?«, kreischt es aus einer Ecke. »Lass mal sehen, die Kleine! Och, das ist ja allerliebst. Allerliebst! Entschuldige, Kindchen, ich bin Louise, Georgs Tante, sag einfach Lola zu mir, ja?«
    »Hallo, Lola«, antworte ich höflich, »ich bin …«
    Eigentlich will ich »Charlotte« sagen, denn diese alberne Glücksmarie-Nummer geht mir schon jetzt auf den Keks. Doch sie fällt mir ins Wort:
    »Aber ich weiß doch, ich weiß! Wo ist denn nun dein lieber, kleiner Süßer?«
    »Das frage ich mich auch«, sage ich leise.
    Ich hatte mir ehrlich gesagt gar nichts vorgestellt, als ich Georg versprach, ihn zum Sechzigsten seiner Mutter zu begleiten. Na gut, dachte ich, dann sitzt man da halt ein paar Stunden in einer Alte-Leute-Runde, betrinkt sich mit Hausmarke, lächelt ein bisschen über das Weinglas hinweg, und ehe man sich’s versieht, ist die Sache wieder vorbei. Aber jetzt läuft schon seit einer halben Stunde die Begrüßungszeremonie, der Tisch ist gedeckt, aber niemand denkt auch nur daran, endlich Platz zu nehmen. Die Verwandtschaft schreit und kreischt und fällt sich in die Arme. Ich würde nichts lieber tun, als mich an den bereits mit Namenskärtchen und Serviettenschwänen geschmückten Tisch zu setzen, ich könnte etwas zu trinken bestellen und wäre durch die Plastikblumengestecke wenigstens von einer Seite geschützt.
    »Schatz?«
    Georg stürzt mir mit schief sitzender Krawatte und zerzauster Frisur entgegen, im Schlepptau eine türkisfarbene wogende Masse. O nein, der Sari.
    »Das ist Tante Waltraud!«
    Ich strecke ihr die Hand zur Begrüßung entgegen und mache den Arm so steif, wie es geht, aber sie reißt mich einfach an sich.
    »Kinderchen, ach, Kinderchen!«, höre ich sie seufzen und bemerke entsetzt, dass ihre Stimme durch das Volumen ihrer Brüste gedämpft und zugleich verstärkt wird.
    »Tante Waltraud hat gerade eine Rundreise durch Indien gemacht!«, erklärt Georg mit strahlendem Gesicht.
    »Oh«, sage ich.
    »Ich hab ihr erzählt, dass wir uns das für unsere Hochzeitsreise auch überlegen.«
    »Äh, ich dachte …«
    »Kinderchen, das muss ich euch gleich alles ausführlicherzählen!« Tante Waltraud trällert das »ü« in »ausführlich« wie eine Opernsängerin. »Aber jetzt brauche ich erst mal was zu trinken!«
    »Ich auch«, murmle ich. Ich bin jetzt schon so erschöpft, dass ich mich nicht wehre, als sie mich mit an den Tisch und genau auf den Platz neben sich zieht. Sie fängt an, von ayurvedischen Massagen und indischen Tempeltänzerinnen zu schwärmen, ich nicke und spähe aus den Augenwinkeln nach Georg, der sich pudelwohl zu fühlen scheint. Er unterhält sich angeregt mit Onkel Albert, der unter seinem Pornobalken hindurch in meine Richtung grinst und anzüglich zwinkert.
    Ich bestelle Prosecco, und zwar zwei Gläser auf einmal. Das eine für mich und – weil Onkel Albert offensichtlich wichtiger ist als ich – das andere ebenfalls

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