Heiraten für Turnschuhträgerinnen
für mich.
Doch erst, nachdem sich alle gesetzt haben, die Toasts gesprochen, die Reime vorgetragen und die Suppenteller ausgelöffelt sind, wird das volle Ausmaß dessen klar, was mir an diesem Abend bevorsteht: Jede kleine Berührung, jedes Küsschen, jeder Blick zwischen Georg und mir wird mit kollektivem Jubel kommentiert. Und zwar, wie sich bald herausstellt, umso lauter, je höher der Alkoholpegel steigt.
»Och, guckt mal!«
»Wie herzig!«
»Süüüüß!«
Süüüß, das ist natürlich Tante Waltraud.
Was soll’s, es ist das Fest der Schwiegereltern, bemühe ich mich, mir zu sagen, sie sind unsere Hauptsponsoren, also versuch zumindest, gute Miene zu diesem doch eigentlich gar nicht bös gemeinten Spiel zu machen.
»Auf dich, Mutti!«, proste ich über den Tisch.
Die Verwandtschaft jubelt: »Mutti sagt sie, allerliebst!«
Das Schlimme ist: Je mehr ich im Zentrum der Aufmerksamkeit stehe, desto stärker wächst mein Bedürfnis, Georg Küsschen zu geben, mich an seiner Hand festzuhalten, mich in seinen Arm zu schmiegen – was unweigerlich zu gesteigerter Aufmerksamkeit führt. Am liebsten würde ich mich in der Brusttasche seines Jacketts verstecken, aber da prangt ja leider schon dieses Einstecktuch, das ihm seine Mutter vor Jahren einmal mit einem lesenden Frosch bestickt hat. Und unter den Tisch zu kriechen käme auch ein bisschen blöd.
»Können wir mal vor die Tür gehen?«, raune ich Georg ins Ohr.
»Was ist, geht es dir nicht gut?«
»Doch, aber ich muss dringend mal an die frische Luft.«
Wir stehen auf, und die Verwandtschaft hört nicht auf zu johlen, bis wir aus der Tür sind.
»Nimm mich in den Arm«, sage ich, als wir draußen vor dem Restaurant stehen. Es ist noch nicht spät, die Feier hat bereits um halb sieben begonnen, trotzdem ist kein Mensch auf der Straße zu sehen. Der Marktplatz einer Kleinstadt, das alte Rathaus, die schiefen Häuser, der Mond, die Sterne, der Kirchturm, der sich in den Nachthimmel streckt. Eigentlich hätte diese Kleinstadt-Szenerie sogar etwas Romantisches an sich, aber jetzt schlägt die Uhr acht, und ich muss daran denken, dass dieser Abend bestimmt bis Mitternacht gehen wird. Ich seufze, als Georg mich an sich drückt.
»Frierst du, Liebste?«
»Nein, das ist nur ein bisschen anstrengend für mich.«
»Ich weiß doch. Aber sieh mal: Alle lieben dich! Du bist der Star des Abends!«
»Der Star des Abends müsste eigentlich deine Mutter sein.«
»Ach, und wenn schon.«
»Meinst du nicht, dass sie eifersüchtig ist?«
»Eifersüchtig? Hast du mal gesehen, wie ihr Gesicht aussieht?«
Sie strahlt. Sie strahlt wirklich. Meine Schwiegermutter in spe strahlt jedes Mal, wenn eine ihrer Schwestern oder Cousinen oder Schwägerinnen in Jauchzen ausbricht. Sie ist stolz, so stolz, und ganz kurz schäme ich mich dafür, dass ich mich so dämlich ziere.
Außerdem bin ich heilfroh, dass sie nicht beleidigt ist, nachdem wir ihr klargemacht haben, dass wir nicht kirchlich heiraten wollen, und dass auch das Gasthaus zur Bärentatz, in dem Onkel Albert gerade einen Toast auf ihren Busen ausbringt, nicht ganz das Richtige für uns ist. Zumindest zeigt sie es nicht. Ganz im Gegensatz zu meiner Mutter, die sich seit unserem Telefonat in tiefes Schweigen hüllt. Kein Anruf. Keine weiteren E-Mails. Zwar hat Papa neulich kurz angerufen und sich verschämt nach dem Zustand der Bohrmaschine erkundigt, die er uns zu Weihnachten geschenkt hat, aber kaum war im Hintergrund meine Mutter zu hören, hat er schnell aufgelegt, ganz so, als habe er heimlich mit mir telefoniert. Kurz darauf habe ich noch einmal versucht, mit ihr zu sprechen, aber da hat sie behauptet, es liefe gerade eine interessante Dokumentation im Fernsehen, sie würde zurückrufen, was sie dann aber nicht tat. Seitdem bin ich beleidigt, zu Recht, wie ich finde. Die Sache mit dem Heiraten ist anstrengend genug, und schon John F. Kennedy wusste, dass es ungerecht und egoistisch ist, als Brautmutter nur zu fragen, was das Brautpaar für einen tun kann, und nicht, was man für das Brautpaar tun kann.
Herrje. Ich bin gespannt, wie es wird, wenn meine Mutterund Georgs Mutter sich kennenlernen. Das heißt, gespannt bin ich eigentlich nicht. Ich will es gar nicht wissen. Meine Mutter ist eine launische, zu Hysterie neigende Frau, die denkt, dass ihre Attraktivität mit der Menge des Goldschmucks steigt, den sie trägt. Sie ist aktives Mitglied eines literarischen Lesezirkels, hat ein Opernabo, knechtet zweimal pro
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