Heirs of Kilronan 01 - Geheimnisvolle Versuchung
bedeuten. Es wäre jedenfalls nicht das erste Rätsel, das ich aufgedeckt habe.«
»Verdammt, Cat! Was nützt es, das verfluchte Ding zu übersetzen, wenn ich am Ende nur noch mehr Fragen habe als zu Anfang?« Die Enge in seiner Brust wurde unerträglich, Schwindel und Übelkeit hielten ihn in seinem Sessel wie ein Anker.
»Könnte das die Erklärung für das Verschwinden deines Bruders sein?« Cats Stimme war leise und beklommen. »Könnte es sein, dass dein Vater ...«
»Nein!« Aidan fuhr so heftig zusammen, dass er gegen die Schreibtischkante stieß. »Das solltest du nicht mal andeuten!«
Cat zog spöttisch ihre Brauen hoch. »Wenn dein Bruder noch lebte, hätte er sich dann nach dem Tod deines Vaters nicht mit dir in Verbindung gesetzt? Sechs Jahre sind eine lange Zeit, um ohne irgendeine Nachricht wegzubleiben.«
Das war ein Argument, das er sich selbst schon sehr oft vorgehalten hatte. Falls Brendan noch am Leben war, warum kamen dann keine Briefe? Oder wieso kam er selbst nicht zu Besuch? Warum hatte er sich so vollkommen von seiner Familie losgesagt? Es musste eine Erklärung dafür geben, aber Cats wollte Aidan nicht mal in Erwägung ziehen. Dass sein Vater ... nein! Das war völlig ausgeschlossen.
Aidan schloss die Augen, rieb sich mit Daumen und Zeigefinger die Nasenwurzel und versuchte, seine Gedanken zu ordnen. Aber auch, als er die wenigen Puzzleteilchen, die sie hatten, hin und her verrückte, ergab sich kein anderes Bild als das, was Cat mit ihrer empörenden Unterstellung gezeichnet hatte.
»Mein Vater könnte das gar nicht getan haben. Er liebte Brendan!«
Cat trat hinter ihn und beugte sich zu ihm herab, sodass er die sanfte Biegung ihrer Wange aus dem Augenwinkel sehen konnte. »Das mag ja sein. Aber es ist auch klar, dass er ein Opfer plante. Könnte das der Grund sein, warum die Amhas-draoi ihn getötet haben?«
Er atmete ihren Lavendelduft ein und spürte, wie sich das wilde Pochen seines Blutes legte, als er mit einem Finger langsam die verblasste Mondsichel und den zerbrochenen Pfeil auf dem Einband des Tagebuches nachstrich. »Ich weiß es nicht.« Er erhob den Blick zu Cats besorgten Augen. »Und zum ersten Mal bin ich mir auch gar nicht sicher, ob ich es wissen will.«
Zusammengerollt wie ihre Namensvetterin, lag Cat mit solch heftigem Kopfweh auf einer Chaiselongue, dass selbst die kleinste Bewegung ihrer Augen den Schmerz in ihre Wirbelsäule und in ihren Magen schießen ließ. Das Tagebuch lag offen auf Aidans Schreibtisch, aufgeschlagen an der Seite, die sie zuletzt gelesen hatte, aber ihre Schrift auf dem Blatt mit der Übertragung wechselte zunehmend vom Verständlichen in Gekritzel, als ihr Kopfweh das Übersetzen immer mehr zur Qual machte.
Es gab keine weiteren Bezugnahmen auf die rituelle Opferung von Aidans Bruder, keinerlei Hinweise darauf, warum es geplant und ob es durchgeführt worden war. Ein Rätsel mehr, das sie auf die wachsende Liste ihrer Fragen setzen konnten.
Sie schloss die Augen und kuschelte sich noch tiefer in die Kissen. Es war ein langer Tag gewesen, und ein Ende war noch nicht in Sicht. Seit dem Mittagessen hatte sie mit Aidan in der Bibliothek gesessen, und nun wollte sie sich nur noch in dem Trost des Schlafs verlieren. Allein.
Unter halb gesenkten Lidern betrachtete sie Aidans markante Gesichtszüge, die Lippen, von denen sie inzwischen wusste, dass sie sie ihren Verstand vergessen lassen konnten, den Blick, der die betäubende Macht eines Hypnotiseurs besaß.
Ja. Sie wollte auf jeden Fall allein sein.
Zum Glück hatte er den Kuss mit keinem Wort erwähnt. Und sie, die einerseits froh war über seine Diskretion und andererseits verwundert über seine Ungezwungenheit, hatte sich dazu entschieden, das Thema ebenso zu ignorieren wie er. Oder wenigstens so gut sie konnte, da sie gezwungen war, praktisch jeden wachen Augenblick in seiner düsteren Gesellschaft zu verbringen. Sie schloss wieder die Augen und legte sich zurück.
Das leichte Gewicht einer Decke um ihre Schulter riss sie aus den verstörend angenehmen Bildern von Aidan, die allen Versuchen, sie auszutreiben, widerstanden hatten. Als sie die Augen aufschlug, sah sie, dass er sie betrachtete, und die Besorgnis, die sie in seiner Miene sah, fügte ihren Träumen noch ein weiteres Element hinzu.
»Du siehst nicht gut aus«, sagte er.
Sie bekämpfte ihre Fantasien mit Spott. »Danke. Das hört man gern als Frau.«
Er verzog den Mund zu einem seiner seltenen Lächeln. »Ich wollte
Weitere Kostenlose Bücher