Heirs of Kilronan 01 - Geheimnisvolle Versuchung
und leerte auch das zweite Glas auf einen Zug. Mit geschlossenen Augen ließ er das reinigende Feuer durch seine Kehle laufen, um die noch immer dicht unter der Oberfläche lauernde Anspannung in ihm zu beruhigen. Aber es half nicht das Geringste, und so schenkte er sich noch einen dritten Brandy ein.
Jack beobachtete ihn von seinem Platz am Fenster, mit ernster, aber vorsichtiger Miene. »Aidan, vielleicht solltest du ...«
Er fuhr zusammen. »Sag es nicht!«, warnte er und leerte auch das dritte Glas.
Beschwichtigend hob Jack die Hände und beschränkte sich wieder auf ein besorgtes Schweigen.
Aidan biss die Zähne zusammen gegen den pochenden Schmerz in seinem Bein und nahm seine nervöse Wanderung durch das Zimmer wieder auf. Zündete sich einen Zigarillo an einer Kerze an, nahm einen tiefen, beruhigenden Zug daraus und warf ihn gleich danach in den Kamin. Tigerte weiter durch das Zimmer und konnte an nichts anderes denken, als die Frage, was dort oben vor sich ging. An sein letztes Bild von Cat in Jacks Armen, mit der wächsernen Blässe einer Toten in ihrem ohnehin schon sehr hellen Gesicht.
»Sie schläft.«
Aidan verhielt abrupt den Schritt und blickte zu der Frau auf, die in der Tür erschienen war. Nur ihr hatten sie es zu verdanken, dass Lazarus nicht endgültig gesiegt hatte. Sie war der Grund dafür, dass er noch lebte, so ungern er es auch zugab.
Die dunkeläugige Miss Roseingrave war eine Schönheit, deren Vollkommenheit nur die Muskelkraft in ihren Armen, die breiten Schultern und das eckige Kinn ein wenig Abbruch taten. In jeder anderen Hinsicht war sie ganz erstaunlich. Jack fand das offensichtlich auch, denn er verschlang sie geradezu mit seinen Blicken, und ein einfältiges Lächeln spielte um seine Lippen.
Mit der von den Amhas-draoi gewohnten Arroganz ließ sie den Blick über die beiden Männer gleiten. »Für die nächsten vierundzwanzig Stunden wird sie schlafen. Das ist normal. Wenn sie erwacht, wird sie sich vielleicht oder vielleicht auch nicht an die Geschehnisse erinnern. Auch das ist normal. Bedrängen Sie sie nicht! Die Erinnerungen werden mit der Zeit zurückkehren.«
Zum ersten Mal konnte Aidan spüren, wie er sich entkrampfte und etwas von der Wärme zurückkehrte, die ihm durch die eisige Kälte von Lazarus’ Angriff genommen worden war. Er hatte nicht seine einzige Chance verloren, das Tagebuch zu übersetzen und herauszufinden, welche Geheimnisse es barg, die Mord rechtfertigen würden.
Der sphinxähnliche Blick der Frau blieb auf ihm ruhen, als könnte sie seine Gedanken lesen und seine selbstsüchtige Erleichterung sehen. Seine ablehnende Haltung gegenüber irgendwelchen zarteren Gefühlsregungen als rein zweckmäßigen Erwägungen.
Am liebsten hätte er ihr diesen selbstgerechten Vorwurf vom Gesicht gewischt und ihr gesagt, was sie mit ihrer Geringschätzigkeit tun konnte. Stattdessen aber ermahnte er sich, dass sie ihn gerettet hatte. Ihn und Cat gerettet hatte. Er stand in der Schuld der Amhas-draoi . Kein schöner Gedanke, aber er genügte, um den Kummer über Cats reglosen Körper, das kreidige Grau eines Gesichts, dessen Konturen er erst Tage zuvor nachgestrichen hatte, und den gar nicht mehr so roten Mund zu verdrängen, den seine Lippen noch so gut in Erinnerung hatten.
Jack ging zur Tür, wo er sich vor Miss Roseingrave verbeugte wie vor einer Königin. »Verzeihen Sie meinem Cousin. Er hat die Sprache verloren vor lauter Dankbarkeit.«
Ihre dunklen Augen funkelten belustigt. »Das sehe ich.« Dann wurde sie wieder ernst. »Aber ich kann verstehen, dass es ihm widerstrebt, unsere Hilfe anzunehmen. Die Geschichte zwischen seiner Familie und der Bruderschaft erleichtert gute Beziehungen ja auch nicht gerade.«
Aidan brach sein störrisches Schweigen. »Wenn Sie mein Vertrauen gewinnen wollen, können Sie damit beginnen, mir zu sagen, wer oder was uns gerade angegriffen hat?«
Sie antwortete mit einem knappen Nicken. »Sein Name ist Lazarus, wie er Ihnen gesagt hat.«
»Cat hat ihn getötet. Ich habe gesehen, wie sie ihn erschossen hat. Kein Mensch hätte diesen Schuss überleben können.«
Miss Roseingrave setzte eine ernste Miene auf. Selbst für jemanden, der an die Freiheiten gewöhnt war, die die Frauen seiner Art genossen, war diese hier etwas Ungewohntes. Denn Freiheit war eine Sache – eine Frau, die Magie ausübte und Waffen mit der Leichtigkeit eines Soldaten führte, dagegen eine völlig andere. Beunruhigend geradezu.
»Kein normaler Mensch,
Weitere Kostenlose Bücher