Heiß gekuesst
Ich blieb stehen, um mich zu überzeugen, dass mit ihm alles in Ordnung war, und ging dann weiter an der Kirche vorbei bis zur großen, runden Kuppel. Baltic und Pavel standen beieinander und berieten sich. »Habt ihr eure Fallen aufgestellt?«, fragte ich, als ich so nahe war, dass sie mich hören konnten.
»Ja, habe ich gemacht«, antwortete eine Stimme, aber sie gehörte nicht Baltic. Es war auch keine Männerstimme. Mit einem Keuchen fuhr ich herum, als Thala plötzlich aus dem Jenseits auftauchte, mir die Hand auf den Mund hielt und mir einen dünnen, sehr scharfen Draht um den Hals legte. »Ich habe allerdings nicht gedacht, dass ich dich fangen würde. Aber das wird so auch funktionieren.«
Baltic blickte in meine Richtung, sprang auf uns zu und brüllte seine Wut in den Nachthimmel hinaus. Noch im Laufen verwandelte er sich in einen Drachen. Seine weißen Schuppen schimmerten im Mondlicht.
Thala fuhr herum, sodass ich zwischen den beiden stand. Der Draht schnitt schmerzhaft in meinen Hals. »Das ist eine rasiermesserscharfe Garotte. Wenn du einen Schritt näher kommst, köpfe ich deine Gefährtin.«
Baltic blieb stehen. Leise keuchend stieß er Feuer aus.
»Ich weiß nicht, was in deinem Kopf vor sich geht, aber du kannst nicht ernsthaft glauben, dass du damit durchkommst«, sagte ich, wobei ich versuchte, mich so wenig wie möglich zu bewegen. »Und wir lassen es auch nicht zu, dass Violet etwas geschieht.«
Sie lachte und zog den Draht ein wenig fester zu. Ich keuchte vor Schmerz auf. »Du hast dich immer schon gerne in alles eingemischt, du Luder. Glaubst du wirklich, ich sei an Dr. Kostichs Tochter interessiert? Ich bin nur wegen einem hier, und niemand wird mich daran hindern, es zu nehmen.«
Baltic verwandelte sich wieder in menschliche Gestalt und verschränkte die Arme vor der Brust. »Das Schwert gehört mir, Thala. Sie hat es
mir
geschenkt.«
»Du durftest es nur so lange behalten, bis es wieder gebraucht wurde, und dieser Zeitpunkt ist jetzt gekommen«, entgegnete sie. Sie drehte sich mit mir um, bis wir der Wand der Grabstätte gegenüberstanden. Der Draht zog sich immer fester zu. An meinem Hals tröpfelte etwas Feuchtes herunter, als ich versuchte, aus den Augenwinkeln zu erkennen, was Baltic gerade machte. Natürlich wusste ich, dass er Thala wohl kaum erlauben würde, mir den Kopf abzuschneiden, aber ich fürchtete, dass er sie angreifen würde, bevor die anderen – einschließlich Constantine – merkten, dass sie da war. Meine Hoffnung war, dass Pavel sie warnen würde.
»Und wie willst du es dir nehmen?«, fragte Pavel und wies auf das Gebäude. »Der Erzmagier hat einen starken arkanen Schutz darumgelegt, auf den gerade Geisterbeschwörer besonders allergisch reagieren.«
Ich spürte Thalas Lächeln, als sie erwiderte: »Ich bin nicht so schwach, wie du glaubst, Baltic. Ich werde die Grabstätte ebenso zerstören wie dein Haus. Ich werde ein Erdenlied singen.«
In der Ferne hörte ich einen Alarmruf. Offensichtlich hatte Pavel die anderen gewarnt. Thala hatte ihn wohl ebenfalls gehört, denn ohne weitere Erklärung begann sie, einfach zu singen.
Ich erinnerte mich kaum noch an den Totengesang, mit dem sie unser schönes Haus zerstört hat, aber Baltic hatte mir erklärt, dass es ein Luftlied war, ein Zauber, der das Haus mit der Kraft zahlreicher Bomben in die Luft gejagt hat. Als Thala jetzt zu singen begann, durchforstete ich mein lückenhaftes Gedächtnis.
Totengesänge, so wusste ich, waren eine Form dunkler Magie, gesungen wie ein Lied. Nur sehr erfahrene Geisterbeschwörer beherrschten sie. Erstaunt beobachtete ich, wie schwarze, verschlungene Wurzeln aus der Erde wuchsen und sich um die Grabstätte legten. Erst da wurde mir die volle Macht des Erdgesanges klar.
Die Laute, die Thala hervorbrachte, waren absolut grauenvolle, leise kratzende Geräusche, die wie qualvolle Schreie aus dem Inneren der Erde emporzusteigen schienen, voller Dunkelheit und Hoffnungslosigkeit, die bis in meine Seele drangen. Thala beschwor die Erde zu zerstören, was von Menschenhand gebaut worden war.
Die Wurzeln schlangen sich um das Gebäude, das mit einem letzten lauten Ton aus Thalas Kehle schließlich explodierte.
Jahrhunderte von Staub, Verfall und Verzweiflung erfüllten die Luft, wirbelten in einer dichten Wolke um uns herum, sodass wir keine Luft mehr bekamen und nichts mehr sehen konnten. Die Garotte schnitt sich noch tiefer in meinen Hals hinein, als ich hustete. Hinter mir hörte
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