Heiss wie der Sommer
geleckt.“ Nach einer kurzen Pause fügte er an: „Wieso willst du eigentlich Tyler anrufen? Auch wenn ich mir den Grund denken kann.“
Lilys Gesicht begann zu glühen. Er konnte sich den Grund nicht denken. Wahrscheinlich vermutete er, dass sie seine Stimme hören wollte. „Er hat mich zum Essen eingeladen“, antwortete sie. „Und ich habe mich dagegen entschieden.“
„Warum denn das?“, wunderte sich Hal.
Anstatt einer Antwort konterte sie mit einer Gegenfrage, einer Hinhaltetaktik, von der sie wusste, sie konnte damit nicht viel Zeit schinden. „Hast du mich nicht immer vor den Creeds gewarnt und mir gesagt, wer sich mit ihnen einlässt, ist dem sicheren Untergang geweiht?“
„Lily, er lädt dich zum Abendessen ein, nicht zu einer Orgie!“
Lily verkniff sich, auszusprechen, was ihr auf der Zunge lag: Mit Tyler Creed allein zu sein, war das sexuelle Gegenstück zur spontanen Selbstentzündung, auch wenn sie sich in der Öffentlichkeit trafen. Dieser Mann war vermutlich in der Lage, sie zum Orgasmus zu bringen, ohne sie auch nur zu berühren. Man musste sehr dumm sein, wenn man sich auf so etwas einließ.
Oder man musste sehr dumm sein, wenn man sich auf so etwas
nicht
einließ.
„Meine Güte!“, zögerte sie die Antwort auf seine Frage weiter hinaus. „Wie sich die Dinge geändert haben.“
„Ich habe mich geirrt, was Tyler angeht“, räumte Hal ein und verblüffte Lily damit. Normalerweise gestand er einen Fehler – wenn überhaupt – nur sehr zögerlich ein, aber in diesem Punkt war sie ihrem Vater sehr ähnlich. „Ich habe mich in vielen Dingen geirrt. Geh mit ihm aus, Lily. Zieh ein schönes Kleid an, leg etwas Parfüm auf und genieß den Abend.“
Genieß den Abend.
Die Leute aus der Generation ihres Vaters waren so ahnungslos und so naiv.
Oder vielleicht doch nicht?
„Und was ist mit Tess?“, fragte sie.
„Wir beide schaffen das schon. Sie ist ein kluges Kind. Und wenn mein Herz Probleme macht, dann kann sie den Notruf wählen.“
„Dein Herz macht Probleme?“, warf Tess ein, die soeben hinter Hal in der Tür zum Arbeitszimmer auftauchte. Sie trug teure pinkfarbene Shorts, ein Top mit Blumenmuster und Flipflops, alles Geschenke, die sie beim letzten Besuch auf Nantucket von Eloise bekommen hatte.
Lily lächelte sie an. „Nein, mein Schatz, das Herz macht deinem Großvater keine Probleme“, versicherte sie ihrer Tochter. „Du hast dich aber heute fein gemacht. Hast du irgendetwas vor?“
„Im Garten nebenan spielt ein Kind“, erwiderte Tess und hatte zumindest für den Moment das kranke Herz ihres Großvaters vergessen. „Ich glaube, es ist ein Junge, aber ich will trotzdem rübergehen.“
„Nebenan wohnt jetzt ein nettes Paar“, merkte Hal an, als er Lilys besorgte Miene sah. In Chicago hatte weder sie noch Tess Kontakt zu irgendwem aus der Nachbarschaft. „Nachdem die Hendersons in Rente gegangen und nach Florida gezogen sind, haben sie das Haus gekauft.“ Er lächelte Tess an. „Und das Kind ist ein Mädchen namens Eleanor. Sie ist sieben und besucht den Sommer über ihre Tante und ihren Onkel.“
„Ist sie nett?“, wollte Tess wissen.
„Na ja“, entgegnete Hal im gleichen ernsten Tonfall. „Sie hat noch nie meine Fenster mit Seife eingerieben, sie hat keine Büsche in Brand gesetzt, und sie hat auch noch nicht die Luft aus meinen Autoreifen gelassen. Sonst weiß ich über sie eigentlich auch nichts. Du wirst schon zu ihr gehen müssen, um mehr über sie herauszufinden.“
„Okay.“ Tess lächelte auf diese einzigartige, bezaubernde Weise. Ein wenig verärgert nahm Lily zur Kenntnis, dass ihre Tochter das letzte Mal so gestrahlt hatte, als Burke noch lebte. „Kann ich etwas Geld für den Eiswagen haben? Er hat eben geläutet und ist noch drei Blocks entfernt. Und er kommt her.“
„Nein“, sagte Lily.
„Ja“, antwortete Hal im gleichen Augenblick und griff bereits in die Hosentasche, um Kleingeld herauszuholen. Sein Blick war auf Lilys Gesicht gerichtet, während er seiner Enkelin ein paar Dollarscheine in die Hand drückte. „Wir haben Sommer“, wandte er sich leise an seine Tochter. „Tess ist sechs, sie hat sich fein gemacht, und sie möchte eine Freundin finden. Gönn ihr mal eine Pause, Lily.“
Ein Vortrag über Konservierungsstoffe und fragwürdige hygienische Zustände in Eiswagen und Lebensmittelfabriken nahm in ihrem Kopf Gestalt an, doch sie schwieg. Ihr Vater hatte recht. Ein Eishörnchen mit Schokoladenüberzug würde
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