Heiss wie der Sommer
gedacht.“
Gemeinsam gingen sie ins Haus, und ihr entging nicht, dass ihr Dad stehen blieb, um die Tür abzuschließen und zusätzlich den Riegel vorzuschieben. Es tat weh, dass auf einmal solche Maßnahmen in einer Stadt notwendig waren, die sie als so sicher in Erinnerung hatte.
Hal machte überall das Licht aus, und Lily stellte in der Küche die Tabletten zusammen, die er noch nehmen musste. Widerstrebend schluckte er alles, was sie ihm hingelegt hatte, dann wünschte er ihr eine gute Nacht und zog sich in sein Schlafzimmer zurück.
Sie blieb noch ein paar Minuten lang in der Küche und bereitete die Kaffeemaschine für den nächsten Morgen vor. Dann griff sie nach ihrem Handy, das sie eigentlich am Vorabend hatte aufladen wollen.
Sie schloss es ans Ladegerät an und schaltete es ein, um nach eingegangenen Nachrichten zu sehen.
Zu ihrer Überraschung wurden zwei Anrufe angezeigt.
Das beunruhigte sie ein wenig. Seit dem Tag, an dem sie aus Chicago abreiste, um ihren Vater im Krankenhaus in Missoula zu besuchen, hatte sie niemand auf ihrem Mobiltelefon angerufen. Sie tippte den Code ein, um die Anrufe abzuhören.
Der erste kam von Eloise. Sie vermisste Tess – ach ja, Lily vermisste sie natürlich auch –, außerdem wollte sie mitteilen, dass eine Firma wegen einer überfälligen Rechnung für einen Lagerraum angerufen hatte. Offenbar hatte Burke dort seine Habseligkeiten untergebracht, und Eloise wollte wissen, ob Lily das Zeug noch durchsehen wollte oder sie alles abholen lassen sollte.
Lily stutzte. Nach Burkes Tod hatte sie alle Rechnungen bezahlt, die für ihn eingegangen waren. Wäre darunter auch eine Forderung für einen „Lagerraum“ gewesen, dann hätte sie die längst beglichen.
Im ersten Moment wollte sie ihre Schwiegermutter zurückrufen und sie bitten, Burkes Sachen von einem gemeinnützigen Verein abholen zu lassen, der alles Brauchbare an Bedürftige weitergeben konnte. Aber es war nicht nur die weit fortgeschrittene Uhrzeit, die sie davon abhielt, Eloises Nummer zu wählen.
Was, wenn sich in diesem Lagerraum etwas befand, das Tess eines Tages als Erinnerungsstück an ihren Vater haben wollte?
Nachdem sie aber einen Moment lang darüber nachgedacht hatte, hielt sie so etwas doch für recht unwahrscheinlich. Wenn Eloise „das Zeug“ abholen lassen wollte, bedeutete das, dass sie alle nennenswerten Erinnerungsstücke an ihren Sohn bereits an sich genommen hatte.
Irgendwie war es ihr zu kompliziert, jetzt noch darüber nachzudenken. Sie würde am Morgen entscheiden, wenn sie ausgeruht war.
Lily speicherte den Anruf ihrer Schwiegermutter und hörte sich die zweite Nachricht an.
Denise Summers, ihre Chefin, hatte angerufen.
Es tue ihr leid, und sie hoffe, dass es ihrem Vater wieder besser ging, aber sie könne ihren Arbeitsplatz nun doch nicht für die erbetene Zeit von sechs Wochen freihalten.
Wenn Lily nicht bis Anfang der nächsten Woche nach Chicago zurückkehrte, würden sie die Stelle anderweitig besetzen.
Fassungslos darüber, dass man sie so schnell ersetzen wollte und konnte, speicherte sie auch diesen Anruf.
Es war unmöglich, so bald nach Chicago zurückzukehren. Hal war noch längst nicht wieder in der Lage, alles allein zu machen. Sobald sie die Stadt verließ, würde er wieder den ganzen Tag in der Praxis stehen und sich von fetttriefenden Cheeseburgern ernähren, das wusste Lily. Außerdem hatte er auf der Veranda etwas gesagt, das ihr zu denken gab.
Nichts veranlasst einen Menschen so sehr wie ein Herzinfarkt, eine Bestandsaufnahme seines Lebens vorzunehmen. Meine Praxis ist … nun, sie ist praktisch das Einzige, wo ich über viele Jahre hinweg etwas richtig gemacht habe.
Nach sechs Monaten wäre ich innerlich tot.
Lily fröstelte. Plötzlich wurde ihr bewusst, wie sehr sie alles über ihren Vater erfahren wollte – ja, wie gern sie den Punkt erreichen würde, an dem sie wieder „Dad“ zu ihm sagen konnte.
Nach einem ausgiebigen Bad machte sie sich fürs Bett fertig und zog das übergroße T-Shirt an, in dem sie sich so geborgen fühlte. Dabei ging sie ihre finanzielle Situation durch.
Sie war nicht reich, aber sie war sparsam, und sie hatte keine Schulden, die abbezahlt werden mussten. Die Lebenshaltungskosten lagen in einer Kleinstadt wie Stillwater Springs deutlich unter denen von Chicago, und wenn es hart auf hart kam, konnte sie immer noch ihr Apartment verkaufen.
Vielleicht war der Zeitpunkt gekommen, über den Schritt in die Selbstständigkeit
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