Heiss wie der Sommer
hattest du recht. Vielleicht hätte Tyler versucht, mich zu beschwatzen, damit ich ihm verzeihe …“
„Und vielleicht wärst du mit ihm glücklich geworden, Lily“, wandte er leise ein.
„Dann hätte ich niemals Tess bekommen, und ein Leben ohne sie könnte ich mir nicht vorstellen.“
„Ich weiß. Aber wenn dein Leben eine andere Richtung eingeschlagen hätte, dann würdest du es gar nicht anders kennen, und Tess könnte dir gar nicht fehlen, nicht wahr?“ Er hielt inne und atmete schwer. „Vielleicht hättest du ein Kind von Tyler bekommen – oder sogar mehrere. Und dann würdest du dir nicht vorstellen können, wie ein Leben ohne
diese
Kinder aussehen sollte.“
So komplex das alles auch war, verstand sie sehr wohl, was ihr Vater damit sagen wollte. Eine gewisse Traurigkeit befiel sie. Der Verlust der Kinder, die Tyler und sie nie bekommen hatten, raubte ihr den Atem. Es kam ihr vor, als würden diese Kinder tatsächlich existieren, sich aber außer Reichweite befinden.
Wilde, ungestüme Jungs.
Liebe, lebhafte Mädchen.
Sie verdrängte die eigenartige Sehnsucht, die die Worte ihres Vaters bei ihr auslösten. Sie hatte Tess, und Tess war das Wundervollste in ihrem Leben. Es war verkehrt, mehr haben zu wollen.
„Ich schätze, diese Erholungsphase nach dem verdammten Herzinfarkt bringt mich auf diese verrückten Ideen“, sagte Hal nach langem Schweigen. „Ich habe einfach zu viel Zeit zum Nachdenken.“
Lily konnte mit ihm mitfühlen. Vor ihrer Rückkehr nach Stillwater Springs war sie mit Tess und ihrem fordernden Job, und bis vor zwei Jahren auch noch mit Burke, so sehr beschäftigt gewesen, dass ihr gar keine Zeit blieb, über Tyler und über alles nachzudenken, was vielleicht hätte sein können. Außer natürlich in den Augenblicken, in denen sie von ihren Erinnerungen förmlich überfallen wurde …
Hör auf!
, ermahnte sie sich.
Es gab keinen Grund, zu glauben, dass sie heute ein wunderbares, sorgenfreies Leben führen würde, wenn sie sich mit Tyler versöhnt und ihn anstelle von Burke geheiratet hätte.
Tyler wäre vermutlich wieder rastlos geworden und von Rodeo zu Rodeo gereist, und dann hätte er irgendwo eine andere Kellnerin kennengelernt, oder sogar mehrere Kellnerinnen.
„Wirst du dich noch mal mit Tyler treffen, Lily?“, wollte Hal wissen.
Lily stand aus dem Schaukelstuhl auf und streckte sich. Sie war hundemüde, und jeder Muskel tat ihr weh, wobei sie jedoch nicht sagen konnte, ob es an dem Ausritt auf der Ranch lag oder daran, was Tyler am Abend zuvor mit ihr gemacht hatte.
„Davon hat er nichts gesagt“, antwortete sie.
„Das wird er aber“, gab Hal zurück und erhob sich ebenfalls von seinem Platz. „Außerdem ist das keine Antwort auf meine Frage.“
Wenn Tyler sich vornahm, sie nochmals zu verführen, dann war ihr jetzt schon klar, dass sie dem nicht viel entgegenzusetzen hatte. Wenn es um ihn ging, schien sie keinerlei Willenskraft mehr zu besitzen. Das war umso erschreckender, da sie in jeder anderen Hinsicht so eigenständig und unabhängig war. Aber da war mehr als nur körperliches Verlangen im Spiel. Das war etwas Grundlegendes, etwas Heiliges und nahezu Unerklärliches.
Eines wusste sie mit Sicherheit: Es hatte etwas ungeheuer Befreiendes an sich, dass sie sich so völlig gehen lassen konnte, wie es ihr bei Tyler widerfahren war. Sie hatte sich stark gefühlt, selbst als sie so schwach war, dass sie ihm nicht widerstehen konnte. Wenn sie bei ihm war, wenn er sie in seinen Armen hielt, wenn sie in seinem Bett lag, dann wurde aus ihr ein anderer Mensch. Ein Mensch, der keine Angst vor seinen Gefühlen hatte.
Sie hatte sich in eine vorgebliche Gleichgültigkeit gehüllt, kurz nachdem sie von Burkes erster Affäre erfahren hatte. In den seltenen Augenblicken, in denen ihr dieses gespielte Desinteresse entglitten war, hatte sie sich dafür verflucht, dass sie nicht genug Rückgrat besaß, um ihn zu verlassen und mit Tess irgendwo ganz von vorn anzufangen.
„Lily?“, hakte Hal nach, dessen Schaukelstuhl sich noch immer in einem gleichmäßigen Rhythmus vor- und zurückbewegte, so, als würde ihr Dad in einem Paralleluniversum immer noch dort sitzen.
Sie seufzte. Ihr Vater war nicht der Einzige, der glaubte, er werde verrückt. „Ich würde mich wieder mit ihm treffen“, gestand sie ihm und zugleich sich. „Wenn Tyler mich noch mal einlädt, werde ich wieder zusagen.“
Er klopfte ihr sanft auf die Schulter. „Das habe ich mir
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