Heiss wie der Sommer
den Weg laufen würde. Er war ein berühmter Rodeo-Cowboy, dazu ein Stuntman und Schauspieler, und er drehte auch noch Werbespots.
Sie erinnerte sich: Vor ein paar Jahren war sie mit einem Korb Wäsche durch die Küche gegangen, als im Fernseher auf dem Tresen ein Werbespot mit ihm lief. Er trug nur Boxershorts, und Lily musste sich setzen. Ihr Herz begann plötzlich zu rasen. Burke war zu Hause; er hatte zwischen zwei Flügen ein paar Tage frei. Und er bemerkte ihr Verhalten.
Dass sie ihre Tage bekommen würde, log sie, als er sie fragte, ob alles in Ordnung sei, und dass ihr deswegen schwindlig geworden sei.
Schwindlig war ihr tatsächlich gewesen. Doch mit ihrem Zyklus hatte das nicht das Geringste zu tun.
„Grampa und ich wollen heute Mittag Hamburger essen“, ließ Tess ihren neuesten Mitreisenden wissen. „Aber Mom sagt, dass die Hamburger unsere Arte…dingsda verstopfen, darum müssen wir jetzt warten, bis wir irgendwo Salat mit
Tofu
bekommen.“
„Oh Mann!“, kommentierte Tyler. „Das ist ja hart.“
Lily drückte das Gaspedal weiter durch.
„Wo sollen wir dich absetzen?“, fragte sie fröhlich, als sie endlich, endlich die Ausläufer Stillwater Springs erreichten. Das Städtchen sah noch immer so aus wie früher, vielleicht etwas heruntergekommener und nicht so groß, wie sie es in Erinnerung hatte.
„An der Werkstatt“, sagte er.
Ihr war ganz entfallen, wie wortkarg er war. Er gab nie ein Wort mehr von sich als unbedingt nötig. Und sie hatte auch vergessen, dass er nach Sonnenschein und getrockneter Wäsche auf einer Wäscheleine duftete, selbst wenn er den ganzen Tag Heuballen umgeladen hatte. Oder wenn er stundenlang neben einem Highway in der prallen Sonne unterwegs gewesen war. Genauso wusste sie fast nicht mehr, wie er einen Mundwinkel hochzog, wenn ihn etwas amüsierte, und dass er die Haare stets ein kleines Stück zu lang trug. Und wie gut seine Kleidung saß, und wie wohl er sich in seiner Haut zu fühlen schien …
Denk nicht über seine Haut nach
, ermahnte sie sich. Ihr war durchaus bewusst, wie ihr Vater sie mit einem Funkeln in den Augen von der Seite ansah.
„Danke fürs Mitnehmen“, sagte Tyler, als sie vor der einzigen Werkstatt in Stillwater Springs angehalten hatte. Er stieg aus, Kit Carson folgte ihm mit einem Satz aus dem Wagen.
„Tschüss!“, rief Tess ihm nach, als wären Tyler Creed und sie alte Freunde.
„Gern geschehen“, log Lily, ohne dabei rot zu werden.
Und er ging einfach weg. Er sah sich nicht noch mal um.
Genau wie in jenem Sommer … Lily hatte ihm, von jugendlicher Leidenschaft erfüllt und unter dem Einfluss einer halben Flasche Bier, einen Heiratsantrag gemacht. Und er? Er fand sie beide noch zu jung. Schlug vor, dass sie es ruhiger angehen lassen sollten. Damit sie sich nicht auf etwas einließen, das sie bereuen würden.
Lily war am Boden zerstört gewesen.
Und dann war Tyler einfach weggegangen. Damals verabschiedete er sie jeden Abend mit einem keuschen Kuss auf die Wange und einem „Schlaf gut“. Später fand sie heraus, dass er den Rest jeder dieser Nächte im Bett einer geschiedenen Kellnerin verbrachte, die doppelt so alt war wie er.
Die Erinnerung an diese Enthüllung versetzte ihr noch jetzt einen Stich.
Er hatte Lieder für sie geschrieben und sich selbst auf der Gitarre begleitet, wenn er sie ihr voller Inbrunst mit seiner tiefen Stimme vorsang.
Er war mit ihr ins Kino gegangen und hatte mit ihr Spaziergänge im Mondschein unternommen.
Auf der Kirmes gewann er für sie drei Teddybären und eine über einen Meter große Plüschgiraffe.
Und nebenher hatte er es Nacht für Nacht mit einer scharfen Kellnerin getrieben, die auf dem rechten Unterarm ein
Harley-Davidson
-Tattoo trug.
Lily war eine erwachsene Frau, eine Witwe mit einer jungen Tochter, einem kranken Vater und einer erfolgreichen Karriere. Und trotzdem tat es immer noch verdammt weh, sich an die Lieder, die Kinobesuche und die romantischen Spaziergänge zu erinnern, die ihm überhaupt nichts bedeutet hatten.
Und die ihr alles bedeutet hatten.
„Schnee von gestern“, meinte ihr Vater leise. „Lass uns heimfahren, Lily.“
Lass uns heimfahren, Lily.
Das hatte Hal auch an jenem Abend zu ihr gesagt, als sie nach ihrer Trennung von Tyler zu ihm in die Praxis gekommen war. Sie hatte sich bei ihm ausgeweint und ihm erklärt, sie wolle Tyler Creed niemals wiedersehen. Hals Miene war einen Moment lang wie versteinert gewesen, als er einen Arm um ihre Schultern
Weitere Kostenlose Bücher