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Heiß wie der Steppenwind

Heiß wie der Steppenwind

Titel: Heiß wie der Steppenwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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auch unsere Kinderchen …«
    Als es völlig dunkel war, trennten sich Marko und Sadowjew und hatten einen guten Plan besprochen. Godunow ging zunächst zurück in seinen Materialwagen, legte dem Genossen Sekretär von der Konvoileitung zwanzig Rubel auf den Tisch und sagte: »Mein lieber, guter Freund Ulanow, du bist ein großer Fresser und ein gewaltiger Frauenverschlinger, auch wenn du impotent bist. Mein Arzt Dr. Pjetkin hat mir berichtet, daß er dich vielleicht heilen könnte. Vielleicht …«
    »Was heißt vielleicht?« rief der feiste Ulanow. »Er soll damit sofort beginnen! Was hindert ihn?«
    »Dein Wohlwollen und deine Blindheit.«
    »Wie soll man das verstehen, Genosse?«
    »Wohlwollen bedeutet, daß du ein Herz für ihn hast, und Blindheit bedeutet, daß du alles, was in dieser Nacht geschieht, nicht siehst und nicht hörst.«
    »Sind es illegale Dinge, Godunow? Ich bin Beamter!«
    »Ich etwa nicht? Ulanow … du bist ein Riese als Mensch, aber in der Mitte ein lächerlicher Zwerg. Soll das so bleiben?«
    »Welch eine Frage! Ich werde blind und taub sein.«
    »Du bist ein kluges Brüderchen.« Marko machte eine kreisende Handbewegung. »Ich brauche deinen Salon, mein Freund … zieh für heute um und schlafe nebenan im Magazin.«
    Unterdessen hatte sich Sadowjew dem Wagen Dunjas genähert. Er klopfte an das Holz, und es war ein gewisser Rhythmus dabei. So hatte er immer an die Tür von Dunjas Zimmer geklopft, wenn er sie morgens weckte. Mit diesem Zeichen war sie groß geworden, genauso wie mit dem auf- und abschwellenden Pfiff, den Sadowjew jetzt ausstieß.
    Im Inneren des Lazarettwagens rührte sich nichts. Sadowjew wiederholte Klopfen und grelles Pfeifen, und plötzlich stieg Angst in ihm hoch. Hatten die Offiziere Dunja zu sich geholt und vergnügten sich jetzt mit ihr? Wie hatte der Heizer gesagt? Sie haben längst ihre Hände an sie gelegt … Sadowjew durchlief es heiß, er schlug die Fäuste gegeneinander und knirschte mit den Zähnen wie ein gereizter Tiger. Mein armes Vögelchen, dachte er. Und ich bin machtlos. Ich muß das alles erleben und in Ruhe ansehen. Wessen Vaterherz hält das aus? Und alle Offiziere des Transportes kann man ja auch nicht nacheinander umbringen.
    Er wollte zum drittenmal klopfen und pfeifen, als die Schiebetür knirschte und einen Spalt breit aufglitt. Dunjas Kopf kam hervor, eingebettet in den hochgeschlagenen Wolfskragen. Ihr blondes Haar floß über die Schulter.
    In Sadowjew tobte ein Höllensturm. Die Gedanken überschlugen sich und schrien ihn an. Dunja ist keine Verbannte, nur eine Strafversetzte. In eine Ecke hat man sie gestellt, wo sie warten soll, bis Pjetkin in der Weite Sibiriens untergegangen ist, bis ihn das Meer der Urwälder verschlungen hat oder der Schnee im Norden ihn zuweht. Aber Dunja ist keine Verurteilte, sondern ein freier Mensch, der nur unter Kontrolle steht. Auch das gibt es, wie man sieht: Eine gelenkte Freiheit. Doch wozu sich darüber Gedanken machen, kann man's ändern? Der Begriff der Freiheit war in Rußland immer schon ein Märchen … vielleicht wird die neue Generation, die jetzt in Sibirien heranwächst und dieses unermeßlich reiche Land Stück um Stück erobert, endlich eine Generation der völlig Freien sein. Warum also soll ein alter Mann wie Sadowjew sich darüber den Kopf zerbrechen? Dunja war da … sie lebte, sie war gesund – das war genug für den Rest seines Lebens.
    »Dunjenka –«, sagte Sadowjew leise. »Mein Schwänchen …« Er breitete die Arme aus und schwankte vor Glück.
    Dunja sprang aus dem Wagen in seine Arme, sie taumelten in den Schatten und prallten gegen einen Waggon. Sadowjew weinte laut, er küßte Dunja immer wieder, streichelte über ihr Gesicht und tastete sie ab, als müsse er gebrochene Knochen oder Überreste von Mißhandlungen entdecken.
    »Mein Töchterchen«, schluchzte er. »Mein Engelchen! Ich habe dich wieder …«
    Später saßen sie auf einer Kiste in der kaum durch einen bleichen Mond hinter ziehenden Wolken erhellten Nacht, merkten die klirrende Kälte nicht und das Eis, mit dem sich ihre Gesichter überzogen, denn jeder Atemzug, der den anderen traf, schlug sich auf dessen Haut wie ein weißer, glitzernder Puder nieder. Niemand störte sie … sie saßen unten in einer Baugrube zwischen den Schienen, wo sonst die Monteure stehen und schadhafte Stellen unter den Eisenbahnwagen schweißen.
    »Ich bleibe bei dir, Dunjenka«, sagte Sadowjew. »Ich habe meinem Leben eine andere Richtung

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