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Heiß wie der Steppenwind

Heiß wie der Steppenwind

Titel: Heiß wie der Steppenwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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erstenmal begegnete. »Die Äpfel des Paradieses duften auch im Winter.«
    »Dir ist das Hirn eingefroren. Wohin also?«
    »Um den Wagen dort herum. Still. Hörst du …«
    Sie streckten die Köpfe vor und lauschten. Irgendwo knirschten Schritte im Schnee, als schleiche jemand heran, das Brechen der Kristalle unter den Sohlen war nicht zu vermeiden.
    »Die Patrouille –«, flüsterte Pjetkin. »Zurück. Marko!«
    »Stehenbleiben!« Der Kleine hielt Pjetkin fest. »Im Gegenteil … geh weiter … um den Wagen herum … Lauf nicht davon … Los, bewege dich, junger Bär … ich warte hier.«
    »Bist du verrückt, Marko?« Pjetkin zögerte. Die Schritte waren verklungen … auch jenseits des Wagens schien jemand zu stehen und zu lauschen. »Sie schießen sofort auf mich.«
    »Wenn das geschieht, will ich ein Wurm sein.« Marko drückte mit beiden Händen Pjetkin gegen den Rücken und schob ihn vorwärts. »Welch ein starrköpfiger Mensch«, keuchte er dabei. »Da steht er vor dem Paradies und zittert –«
    Langsam ging Pjetkin weiter. Er bog um den Wagen herum und sah im Schatten undeutlich eine Gestalt in einer pelzbesetzten Fofaika stehen. Ein schmaler Fleck, der sich nicht bewegte. Der Schnee glitzerte im Widerschein des fahlen Mondes, und der Frost fraß sich durch die Stiefel und die Wollappen zu den Füßen und drang in die Zehen. Er räusperte sich und wartete darauf, was der Schatten vor ihm unternehmen würde.
    »Sie haben etwas von Igor Antonowitsch Pjetkin gehört?« fragte die reglose Gestalt an der Wagenwand. Ihre Stimme war hell und voll Melodie.
    Pjetkin war es, als stoße ihn eine Faust zurück und reiße ihn gleichzeitig vorwärts. Er machte ein paar taumelnde Schritte, die Gestalt hob beide Arme und streckte sie ihm als Fäuste entgegen.
    »Bleiben Sie stehen!« sagte die helle Stimme plötzlich scharf. »Ich habe ein Messer in der Hand. Ich schlitze Ihnen das Gesicht auf, wenn Sie näher kommen.«
    »Dunja …«, stammelte Pjetkin. »Dunjuscha … Dunja!«
    Das letzte Wort war ein Aufschrei. Dann stürzten sie aufeinander zu, prallten zusammen wie zwei wilde Wogen, fielen von dem Zusammenstoß zu Boden, umklammerten sich noch im Fallen und rollten durch den Schnee.
    »Igoruschka! Mein Igoruschka! O Gott, ich sterbe …«
    Aber sie starben nicht … sie lagen im Schnee und küßten sich und ertranken in ihren Augen und stammelten wirre Worte. Auf der anderen Seite des Waggons wischte sich Marko über die Augen, brach die zu Eiskugeln gefrorenen Tränen von seinen Lidern und kniete sich in den Schnee. Er bekreuzigte sich. Wißt ihr, Genossen, daß Marko schon vor vierzig Jahren aus der Kirche ausgetreten war? Er hatte bis zu dieser Stunde auf dem Güterbahnhof von Semipalatinsk immer behauptet, nie etwas von Gott gespürt zu haben. Aber jetzt sagte er: »Gott, ich danke dir … und segne sie …«

F ÜNFUNDZWANZIGSTES K APITEL
    Erst am Morgen kehrte Pjetkin in seine Tepluschka zurück. Die Stunden mit Dunja waren weniger ein Rausch, als vielmehr ein wehmütiges Vergessen der sie umgebenden Wahrheit gewesen. Marko hatte sie zum Magazinwagen geführt, wo Ulanow gerade sein Zimmerchen geräumt hatte und es sich auf vier langen Kisten mit Konserven so bequem wie möglich machte. Als Herr über das gesamte Material verfügte er über Decken und Matratzen, Kissen und wärmende Fußsäcke. Als Marko nach ihm sah, lag er fett auf dem Rücken und kaute an einer Blutwurst.
    »Du bist ein verteufelter Hund!« sagte Ulanow zu Godunow. »In meinem Bett zeugen sie jetzt ein Kind. In meinem Bett! Wird das qualvolle Träume geben.«
    »Vielleicht gehört es zur Therapie?« antwortete Marko listig. »Es kann sein, daß etwas von der Wildheit meines Doktors für dich in den Kissen zurückbleibt.«
    Ulanow grunzte wie ein Ferkel, furzte aus Protest und warf Marko den Rest der Blutwurst an den Kopf. Geschickt fing der Kleine sie auf und steckte sie ein.
    »Hinaus!« schrie Ulanow. »Wenn ich dich länger ansehe, erinnere ich mich, Sekretär der sowjetischen Polizei zu sein. Provoziere das nicht, du Mücke! Hinaus!«
    So blieben Dunja und Igor ungestört bis zum Morgengrauen. Im Abteil des ›technischen Begleiters‹, das Marko so benannt hatte und zum Materialwagen Nr. II gehörte, saßen die ganze Nacht über Sadowjew und Godunow zusammen, spielten Schach und hielten Wache.
    »Mein Vaterherz zerbricht«, stöhnte Sadowjew gegen 3 Uhr früh. »Ich stelle mir vor, wie mein Töchterchen jetzt in seinen Armen

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