Heiß wie der Steppenwind
den Brettern. Dann donnerten Fäuste gegen die Waggonwände.
Aus dem Wagen der Offiziere kletterte ein Mädchen mit langen blonden Haaren. Es trug Stepphosen in dicken Fellstiefeln, eine Fofaika – das ist die berühmte sibirische Steppjacke mit einem Wolfspelzkragen – und einen roten Schal um den Hals. Als es in den Schnee sprang, pfiffen einige hundert Männer und schwenkten die Arme.
»Ein Engelchen!« schrie jemand. »Wahrhaftig, ein Engelchen!«
Dunja beachtete die Rufe nicht. Sie verhandelte mit einem der Offiziere und zeigte auf die verschlossenen Frauenwagen. Der Offizier schüttelte den Kopf, Dunja stampfte auf und ging zurück zum Magazinwaggon, an dessen Seite mit weißer Ölfarbe das Wort ›gospidal‹ gemalt war. Hunderte Rufe folgten ihr, es war ein Tumult wie bei einer kleinen Revolution, und kann man das nicht verstehen, Freunde, wenn man nach wochenlanger Haft wieder ein Mädchen sieht und es ist dann noch so schön wie Dunja Dimitrowna? In dem allgemeinen Geschrei ging deshalb auch das Gebrüll unter, das Sadowjew auf seinem Kohlentender ausstieß, als er Dunja erkannte. Ein Glück war das, denn hätte man gewußt, warum der Alte sich so außer Rand und Band benahm, er wäre seine Arbeit als Hilfsheizer losgeworden. So aber schüttelte der Oberheizer nur den Kopf, stieß Sadowjew lachend in die Seite und sagte: »Benimm dich nicht wie ein ausgehungerter Bock, Brüderchen. Du könntest ihr Väterchen sein. Für uns ist dieses Weibsstück nur ein Plakat, das wir anstarren dürfen. Da haben die Genossen Offiziere längst ihre Hand draufgelegt.«
»Ja, wahr ist es, ich könnte ihr Vater sein!« schrie Sadowjew ganz laut.
Er hing aus dem Tender und sah mit glühenden Augen zu, wie Dunja einer Frau mit einem dicken Kopfverband aus dem Wagen half und mit ihr im Schnee hin und her ging. Er wagte nicht, sich bemerkbar zu machen. Warten wir bis zum Abend, dachte er und sein Herz verkrampfte sich, denn die Zeit zu überstehen bis zur Dunkelheit war eine Qual. Vielleicht rangieren wir um, und dann wird es sich ergeben, daß ich mit der Ärztin Sadowjewa ein paar Worte flüstern kann.
Genau so war es. Den ganzen Tag über wurde der Zug umgeordnet, umgekoppelt und hin und her geschoben. Die Frauenwagen setzt man gleich hinter die Lok, dann folgten der Sanitätswaggon und die Mannschaftswagen. Am Schluß, unterbrochen von den Küchenwagen und jeweils einem Begleiterwaggon, stand die lange Reihe der Tepluschkas mit den Toten Seelen, den ›abgebrannten Dochten‹, wie die Sibirier die Neusiedler ihres Landes nannten.
Sadowjew jubelte im stillen. Bis zu Dunja waren es nur noch dreißig Meter. Wenn man ein wenig im Schnee herumbummelte – und wer kann einem Hilfsheizer verbieten, frische Luft zu schnappen? – kam man unwillkürlich in die Nähe des Sanitätswagens.
Es dämmerte bereits, als ein kleiner, krummbeiniger, zwergenhafter Bahnbeamter mit einem langstieligen Hammer von Wagen zu Wagen ging, sich bückte und mit dem Hammer völlig sinnlos gegen die Bremsen schlug. Er trug eine viel zu große Mütze, die ihm über die Stirn bis auf die Augen rutschte, und der Mantel war so lang, daß er im Schnee eine Schleifspur hinterließ. Sadowjew beobachtete ihn schon eine ganze Weile voll Mißtrauen, denn solange dieser widerliche Mensch mit seinem Hammer herumschlich, war es unmöglich, Dunja aus ihrem Wagen zu rufen.
»Was soll das, he?« rief Sadowjew, als der Kleine stehenblieb, genau vor dem Lazarettwagen, und sich mit einer teuflischen Ruhe eine Papyrossa ansteckte. »Verrichte deine Arbeit, klopf die Bremsen ab und leg dich auf den Arsch!«
Marko Borissowitsch grinste breit. Er schob die Mütze in den Nacken und winkte Sadowjew fröhlich zu. »Zum Gruße, Dimitri Ferapontowitsch! Hab' ich's doch richtig geahnt. Es ist der Zug mit Dunja. Komm herunter, du Kohlenfresser, und laß dich umarmen!«
War das ein Wiedersehen! Sie küßten sich mehrmals, drückten einander, klopften sich auf die Schulter und schrien sich an, als hätten sie beide kein Trommelfell mehr. Dann stellten sie sich in den Windschatten des Zuges und rauchten.
»Diesen Fehler werden sie nie wieder auswetzen können«, sagte Marko und rieb sich die Hände. »Man wollte sie für immer trennen, und nun fahren sie gemeinsam in die Verbannung. Wenn sie es klug anstellen, wird niemand erfahren, daß sie zusammen sind. Aber wozu haben sie uns, was, Dimitri Ferapontowitsch? Gebe Gott, daß wir noch zehn Jahre leben, dann überstehen es
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