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Heiß wie der Steppenwind

Heiß wie der Steppenwind

Titel: Heiß wie der Steppenwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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sagte der Kommandant später im Offizierswagen und rang mit seinem Stolz. »Sie bleibt eine dreckige Bauerntochter vom Amur. Ich möchte wissen, welche Rolle dieser krummbeinige Sadowjew in ihrem Leben spielte. War er ihr Geliebter? Lachen Sie nicht, Genossen, bei Weibern ist alles möglich.«
    Noch einen Aufenthalt gab es … kurz vor Workuta. Die Wagen wurden wieder gesäubert, man wollte halbwegs kultiviert in die Hölle einrücken.
    Zum letztenmal schlich sich Dunja zu Igor in Ulanows Materialwagen. Sie wußten, daß es ein Abschied für lange Zeit, vielleicht für immer war. Ihre Liebe verbrannte sie bis zum nächsten Morgen, dann brachte Pjetkin sie zurück zum Lazarettwagen.
    »Ich werde dich immer lieben«, sagte er und hielt ihre Hände fest. »Und ich werde zehn Jahre warten können. Wenn sie glauben, Stacheldraht könne uns trennen, dann sind es dumme Menschen.«
    »Ich werde dir Nachricht geben, Igorenka. Wer weiß, was alles geschieht. Und wenn wir uns nie wiedersehen … ich bleibe deine Frau. Ich schwöre es dir. Leb wohl, mein Liebling.«
    »Leb wohl, Dunjuscha …«
    Sein Hals schnürte sich zu, als sie in den Wagen kletterte und die Tür hinter sich zuzog, ohne sich noch einmal umzudrehen. Dann wandte er sich ab und ging langsam zu seinem Wagen zurück.
    Marko hielt ihn an. Er hatte neue Nachrichten. »Ich habe gehört, daß schon jetzt vom Zentralkrankenhaus der Lager in Workuta eine Anforderung vorliegt, dich als Arzt einzusetzen«, sagte er. »Die Offiziere sprachen darüber. Du wirst gleich vom Zug aus abgeholt. Das ist gut, Söhnchen. Ein Arzt hat mehr Freiheiten – ich werde mich um dich kümmern können. Von Workuta ist noch keine Flucht gelungen … aber sie kennen alle nicht das Organisationstalent eines Godunow! Wir finden einen Weg …«
    »Kümmere dich um Dunja, Marko.« Pjetkin umfaßte die Schulter des Zwerges. »Versprich … bleib in ihrer Nähe. Keine Flucht, Marko … sorge dafür, daß die Verbindung zwischen mir und Dunja nicht abreißt. Damit haben wir schon die halbe Freiheit. Du bist unser einziger Lebensfaden.«
    »Ihr werdet leben«, sagte Marko ernst und feierlich.
    In der Nacht fuhr der Zug weiter, und am Morgen, bei einer kalten, trüben, durch Eiswolken gefilterten Sonne, erreichten sie Workuta.

S IEBENUNDZWANZIGSTES K APITEL
    Wer Workuta kennt, macht drei Kreuze, wenn er das Wort ausgesprochen hat. Wer Workuta überlebte, hat Grund, jeden Tag zu beten und eine Kerze zu stiften. Wer Workuta gesund verlassen hat, ist ein Kind Gottes oder ein ganz raffinierter Speichellecker. Nur wer Workuta nicht kennt, fragt: Na und? Ein Lager wie alle anderen. Hohe Zäune, Barackenreihen, ein Lazarett, ein Strafbunker, Magazine, Werkstätten, eine Banja, die Stolowaja, Militärhäuser, Garagen, Magazine, die Quarantänestation, ein Friedhof, die Küche, die Wäscherei, die Bäckerei, die Metzgerei … eine Stadt für sich, dieses Workuta, straff geleitet, eines der größten Besserungslager der Sowjetunion, ein Schmelztiegel, in dem die Meinungen und Eigenarten, Individualitäten und Ansichten zu einheitlichen Ziegeln gebacken werden, aus denen man dann den neuen Staat baut. Leute, so kann nur einer reden, der mit trockenem Hals rülpst. Schickt ihn nach Workuta, laßt ihn im Wind zittern, der vom Vestsibirischen Meer herüberpfeift, spannt ihn vor die Schlitten, mit denen man das Holz aus den Bergwäldern von Tschernyschew holt, gebt ihm die Hacke in die Hand, damit er sich in den Berg Pae-Jer wühlt, diesen nördlichen Eckpfeiler des Ural mit 1.500 Meter Höhe, laßt ihn über die Bolschesemelskaja Tundra kriechen oder Felsblöcke aus den vereisten Steinbrüchen von Paj-Choj brechen, stellt ihn an die Straße zur Bajdarazkaja-Bay, an diese millionenfach verfluchte Straße durch den ewig gefrorenen Boden von Workuta, an der Usswa vorbei bis nach Torowej am Meer, diese Straße, die mit Knochen gepflastert werden kann … stellt ihn einfach mitten in das Lager I, das Zentrallager, das noch das beste ist, und laßt ihn dann allein. Er wird Workuta aussprechen, als habe er Sand zwischen den Zähnen, Eis im Herzen und Felsen im Gehirn. Workuta.
    Hier hört der Mensch auf, ein Mensch zu sein.
    Der Zug hielt auf einem Gleis zwischen Lager I und Lager V. Hier bildeten Schuppen so etwas wie eine Station. Ein Funkturm ragte in den bleiernen Himmel. Verstreut standen wie verschneite Riesen Silos im Schnee. Eine Straße aus Drähten durchzog die Luft, von Stahlmast zu Stahlmast, bis zu dem

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