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Heiß wie der Steppenwind

Heiß wie der Steppenwind

Titel: Heiß wie der Steppenwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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eigenen Kraftwerk. Neben diesen Giganten nahmen sich die hölzernen Wachttürme fast schmächtig und schüchtern aus.
    »Alles aussteigen und setzen!« brüllten die Soldaten den Zug entlang. Die Riegel knirschten zur Seite, die Verbannten sprangen in den Schnee und hockten sich hin. Sie hatten Übung darin. Teilnahmslos sahen sie zu, wie die Toten ausgeladen wurden. Steife Körper, wie gefrorene Tierhälften. Bis auf die neunundfünfzig Mann in dem zurückgelassenen Seuchenwagen in Semipalatinsk – man hatte diesen Wagen abgezogen – fehlte niemand. Der übernehmende Offizier aus dem Lager zählte die Toten und schrieb dann die Meldungen der Konvoigruppenführer auf. Unterdessen wurden die Wagen mit weiblichen Verurteilten abgekoppelt und wegrangiert. Pjetkin blickte den wenigen vereisten Waggons nach. Er sah Dunja noch einmal … sie stand am Fenster des Lazarettwagens und suchte ihn in der Masse der im Schnee sitzenden Männer. Pjetkin hob die Hand und winkte. Er wußte nicht, ob Dunja ihn bemerkt hatte.
    »He, aufstehen!« schrie ihn ein Offizier an. Er trat nach Pjetkin, traf ihn in die Seite und grinste. »Bist du der Arzt Pjetkin?«
    »Das bin ich«, antwortete Pjetkin.
    »Spring hoch, du Hund, wenn du mit einem Offizier sprichst!« brüllte der Leutnant. Er schlug Pjetkin mit einem Holzscheit auf den Kopf. Benommen taumelte Pjetkin auf die Beine und blinzelte den Offizier an. »Man ist dabei, dir eine besondere Wurst zu braten! Warum eigentlich?«
    »Ich weiß es nicht, Genosse«, sagte Pjetkin. Das Schwindelgefühl verließ ihn. »Ich habe Freunde in Moskau.«
    »In Moskau? Freunde?« Der Leutnant schielte ihn nachdenklich an. »Mitkommen! Wenn du Freunde hättest, wärest du jetzt nicht in Workuta.«
    »Auch Freunde passen manchmal nicht auf, Genosse.«
    Sie gingen an den Wachen vorbei zu den Baracken, stiegen dort in einen geschlossenen Jeep und fuhren über die vereiste Straße zum Lager I. Marko folgte ihnen bis zum Auto, blieb dann stehen und schob die Eisenbahnermütze in den Nacken.
    »Was soll das?« fragte er einen der frierenden Posten. »Wird er gleich liquidiert, das politische Schwein?«
    »Wer weiß es?« Der Posten grinste. »Kümmere dich um deine Wagen, Zwerg, sonst lassen sie dich in der Lagerküche in der Suppe schwimmen, damit du sie umrührst …« Er lachte laut und drehte Marko den Rücken zu.
    Pjetkin durchlief alle Kontrollen ohne Zwischenfall. Sein Begleiter sagte nur das Wort »Krankenhaus«, und schon winkten die Posten. Erst vor dem Lagertor hielten sie richtig an und stiegen aus. Die Kommandantur war aus Stein gebaut, sah wie eine Festung aus und wurde von einer im Wind knatternden, großen, roten Fahne gekrönt.
    Pjetkin wurde durch einige Gänge geführt, bis sie ein Zimmer erreichten, in dem Oberst Baranurian hinter einem breiten Tisch saß, die Moskauer Prawda las und ein Bier trank. Er blickte auf, als der Leutnant sich meldete, knickte die Zeitung zusammen und lehnte sich zurück. Erst das Zufallen der Tür erklärte Pjetkin, daß er jetzt allein war.
    »Sie sind Igor Antonowitsch Pjetkin?« fragte Baranurian und musterte Pjetkin. »Der Arzt mit dem großen Maul. Warum bloß, mein Junge? Ich kannte Ihren Vater, den herrlichen Anton Wassiljewitsch. Wir haben Stalingrad gestürmt und die Deutschen von der Wolga gehauen. Die Deutschen, mein Junge, und da geht der Sohn des Helden Pjetkin hin und behauptet, er sei ein Deutscher! Siehst du diese Schande ein, du Rindvieh?« Der Oberst beugte sich über den Tisch. »Ich wäre es Anton Wassiljewitsch schuldig, dich zu ohrfeigen. Sag etwas! Wie kann ein Pjetkin sich als deutsch bezeichnen?«
    »Nicht ich habe es getan, sondern Moskau. Ich habe mich immer als Russe gefühlt, ich habe als Russe gelebt, ich bin ein Sohn Pjetkins. Aber Moskau ist anderer Ansicht. Ich bin hier in Workuta, weil ich ein Russe sein will … weil ich als Russe ein russisches Mädchen heiraten will. Das verbietet man mir … mir dem Deutschen.«
    »Eine verworrene Welt, Igor Antonowitsch.« Baranurian schüttelte den Kopf. »Wir sollten nicht darüber nachdenken. Dieses Mädchen solltest du vergessen. Du wirst sie vergessen, denn du weißt nicht, was dich erwartet! Man hat dich gleich, als die Transportlisten bekannt wurden, vom Zentralkrankenhaus Workuta angefordert. Du bist der einzige Vollhäftling, der dort arbeiten darf … als Chirurg. Aber die Sache hat einen Haken, Junge. Du wirst unter einem Chefarzt arbeiten, der dich erst in die Knie wirft, dich

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