Heiß wie der Steppenwind
Wind stärker, der Frost kroch durch Jacke und Hose, das Gesicht vereiste. Er legte beide Hände vor Nase und Mund, hauchte unentwegt dagegen und spürte, wie sein linkes Bein taub wurde.
Die Dunkelheit brach herein, und noch immer waren die Jäger nicht gekommen. Sadowjew atmete schneller, die Angst kroch mit der Nacht über ihn. Wenn sie morgen erst kommen, werde ich ein Eisklotz sein, dachte er.
Sadowjew zerrte an seinem Bein. Er schrie dabei, umklammerte die Eisenbacken und wollte sie auseinanderdrücken. Nach dreimaligem Versuch fiel er zurück in den Schnee, wimmerte und sah ein, daß seine Kräfte nicht mehr ausreichten. Ein paar Minuten badete er sich wie in glühendem Pech, der Schmerz war so groß, daß er das Gesicht in den Schnee hieb und in die weißen Kristalle biß. Dann ebbte die Glut ab, er starrte kniend in den Nachthimmel und hörte von weitem das Heranbrausen des Sturmes.
»Hilfe!« brüllte er da. Es war völlig sinnlos, seine Stimme drang nur bis zu den nächsten Bäumen, aber er schrie, um sich in diesen Laut einzuhüllen wie in einen wärmenden Pelz. »Hilfe! Hilfe! Hilfe!«
Die Todesangst ergriff ihn, er schluchzte in seine Hände hinein, rief nach Dunja und nach Anna, seinem Weibchen im fernen Issakowa, er betete sogar und erinnerte sich plötzlich der Gebete, die seine Mutter gesprochen hatte.
Nach drei Stunden war der Sturm weitergezogen, der Himmel wurde seltsam weit, sternenklar und von einer bedrückenden Schönheit … Sadowjew lag auf der Seite, starrte hinauf in die Unendlichkeit und wartete fast mit Spannung darauf, wie sein Körper sich in den nächsten Stunden verhalten würde, wie ein Mensch stirbt, wenn er bei vollem Bewußtsein ist, wie dieses Leben zu Ende gehen kann mit einem Herzen, das kräftig in der Brust schlug.
Die Frage wurde bald beantwortet. Zuerst war es ein einzelner Schatten, der durch die Baumreihen huschte und in sicherer Entfernung stehen blieb. Ein stummer, runder Schatten. Dann lief er weg und kam mit zwei anderen Schatten wieder. Sie bildeten einen Halbkreis um Sadowjew, duckten sich und krochen über den Schnee. Dann, wie auf ein Zeichen, platzten die Schatten auf, weit aufgerissene Mäuler mit spitzen Zahnreihen entstanden, und aus diesen Rachen quoll ein schauerliches, auf- und abschwellendes Geheul.
Sadowjew richtete sich wieder auf den Knien auf. Alle Angst war verflogen. Der Kampf zwischen Mensch und Wolf, dieser uralte Haß, der nur einen Überlebenden kennt, dieses gegenseitige Töten, solange es ein Sibirien gibt und in ihm Mensch und Wolf, dieser Wille der Vernichtung überdeckte alles. Sadowjew riß sein breites Messer aus dem Rock. Er umklammerte es, zog den Sack von seinem umkrallten Bein, wickelte ihn um die linke Hand und starrte die Wölfe an. Der große Leitwolf erhob sich als erster, kroch näher, heulte den Menschen an und hob witternd die Nase.
Blut! Das Signal zum Töten. Der Geruch des Sieges. Blut …
»Komm!« knirschte Sadowjew und schob die breite Klinge vor. »Setz dich in Bewegung, du schielender Satan! Den Bauch schlitze ich dir auf bis zum Kinn. Mein Messer ist gut und scharf. Siehst du es, graue Bestie? Warum funkeln deine Augen? Ich bin nicht wehrlos, und hätte ich das Fangeisen nicht am Bein, würdet ihr nichts zu heulen haben. Komm näher, du Gottverfluchter … komm schon … komm …«
Der Wolf pendelte mit dem Kopf. Er betrachtete den Menschen, roch wieder das Blut und knurrte dumpf. Seine Läufe stemmten sich in den Schnee, er bleckte die Zähne, und Sadowjew spürte die Hitze seines Atems. Dann sprang der Wolf, lautlos, geschmeidig, hing eine Sekunde langgestreckt in der Nachtluft und fiel dann auf Sadowjew herunter. Gleichzeitig zuckte das Messer hoch, traf das Tier in die Brust und riß sie auf. Der Wolf heulte schauerlich, rollte zur Seite in den Schnee und winselte.
»Hab' ich dich?!« schrie Sadowjew hell vor Triumph. »Ihr anderen, nur heran! Heran! Ihr habt Dimitri Ferapontowitsch vor euch … er hat schon mit sieben Jahren Wölfe gejagt! Heran, ziert euch nicht … ich hole euch die Eingeweide heraus!«
Der Leitwolf schwankte etwas, aber er stand wieder auf. Die beiden anderen Wölfe verteilten sich und schlichen jetzt von der Seite heran. Sadowjew spürte sein Blut in den Schläfen pochen. Das zerrissene Bein kümmerte ihn nicht … er hatte keine Zeit mehr, auf Schmerzen zu achten.
»Ihr Feiglinge«, knurrte Sadowjew. »Von drei Seiten … oh, ihr hinterhältige Brut!«
Er riß sein Messer hoch,
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