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Heiß wie der Steppenwind

Heiß wie der Steppenwind

Titel: Heiß wie der Steppenwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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einig waren.
    *
    Später zeigte die Dussowa dem neuen Arzt Dr. Pjetkin das Lager, als sei dieser kein Sträfling, sondern ein hoher, inspizierender Beamter. Er begrüßte seine Kollegen im Krankenhaus, in der Poliklinik, der Unfallstation, der geschlossenen Abteilung für Infektionskrankheiten und der Quarantänestation bei der Arbeit, und manch scheeler Blick flog hinter ihnen her. Vor allem die jungen Offiziere der Wachmannschaften steckten die Köpfe zusammen.
    »Diesen Pjetkin holt sie ins Bett«, sagte man schon drei Stunden nach Pjetkins Ankunft in Workuta. »Kann man das verstehen? Einen so mageren Kerl, der vom Fleische fällt? Eine Sadistin ist sie, verlaßt euch drauf! Hoffen wir nur, daß die Dussowa im Bett ihre Teufeleien abarbeitet und für uns sanft wie ein Kaninchen wird. Ein Weib mit sattem Unterleib ist wie eine Sonnenblume im Tau. Vorerst, Kameraden –« er blickte dabei hinüber zu den jungen Offizieren am Ende der Tafel – »ist es Zeitverschwendung, weiter ihre Festung zu belagern. Suchen Sie sich einen anderen Schießplatz.«
    Es wurde Nacht.
    Die erste Nacht Pjetkins in Workuta.
    Mit der Dunkelheit war ein neuer Schneesturm aufgekommen. Wirbelnde weiße Wolken heulten um Baracken und Türme, Kommandantur und Krankenhaus. Die Welt wurde ein formloser Klumpen. In den Baracken glühten die Eisenöfen und kochten die Luft aus nassen Kleidern, Kohlgestank und Schweiß zu einem ätzenden Nebel. Die Wachen verkrochen sich … nur ein Selbstmörder dachte jetzt noch an Flucht. Überhaupt Flucht. Wohin denn flüchten? Zum Eismeer? In den Ural? In die Bolschesemelskaja Tundra?
    Pjetkin lag lange wach. Angezogen, die Ohren gespitzt, auf jeden Laut lauschend, bereit, aufzuspringen, wartete er auf Marianka Jefimowna. Er hatte sich auf den Kampf vorbereitet. Wie man den Satan verjagt, indem man den Namen der Mutter Maria ruft, war er bereit, gegen Marianka den Namen Dunja wie eine Keule zu benutzen. Aber die Dussowa kam nicht.
    Sie stand in ihrem Zimmer vor einem Spiegel, strich über ihre schönen, großen Brüste und stammelte dabei Igorenkas Namen.
    Warten, dachte sie, schwer atmend. Zeit haben. Die höchste Tugend des Russen wird auch Pjetkin besiegen: Warten können.

A CHTUNDZWANZIGSTES K APITEL
    Die Ankunft Dunjas im Frauenlager vollzog sich weniger dramatisch.
    Nachdem sie Igor aus den Augen verloren hatte, stand sie am Fenster des Lazarettwagens und starrte dem langgezogenen Komplex des Frauenlagers entgegen.
    Er lag erstaunlich nahe dem Männerlager … und doch so fern wie ein Stern am Himmel. Das markanteste Zeichen bildeten die beiden hohen Schornsteine der Wäscherei … ein kleines Dorf für sich mit Steinhäuschen um das massige Waschgebäude. Eine Fabrik der Sauberkeit. Außerhalb des eigentlichen Lagers, aber noch im Lagerbereich, standen die beiden Steinklötze des Krankenhauses, an die sich die Wohngebäude der Wachsoldaten und Offiziere anschlossen. Im fahlen Winterlicht und unter einem bleiernen Himmel war der Anblick trostlos.
    Die Waggons rollten an die Rampe. Die Schiebetüren rasselten zur Seite, in einer Woge von weißen Atemwolken quollen die Frauenköpfe, von Tüchern umhüllt, in die eisige Luft. Der erste Blick auf die Endstation des Lebens. Der letzte Blick mit einem Funken Hoffnung. Er erlosch endgültig unter dem Gebrüll der Befehle: »Aussteigen! Auf die Erde hocken! Hände in den Nacken! Ruhe! Jeder bleibt vor seinem Wagen sitzen!«
    Es war nicht anders als bei den Männern. Warum auch? Wer in Workuta aus einem Waggon getrieben wird, ist geschlechtslos geworden, so wenig Mann oder Frau, wie er noch Mensch ist. Nur ein Päckchen Arbeitskraft ist er, mit einer Registriernummer. Und viele, viele Nummern strich man später durch – Die Frauen hockten sich in den zertretenen Schnee, zogen die Kopftücher weit über die Gesichter und senkten den Kopf. Laß uns überleben, Mutter Maria im Himmel. Laß uns hier nicht verrecken.
    Dunja hatte in diesen Minuten viel zu tun. Sie überwachte den Abtransport der Kranken, die während der Fahrt keinerlei Pflege erhalten hatten.
    Vierunddreißig Frauen waren es, die mit den Lazarettwagen ins Lager gebracht wurden: Lungenentzündungen, Entkräftung, Erfrierungen an Armen und Beinen, zwei mißlungene Selbstmordversuche und eine Wöchnerin, die sich bewundern ließ. Sie war der Star des Transportes. Seit zwei Jahren war sie in Haft, fern von ihrem Mann, und trotzdem wurde sie schwanger. Irgendein Gefängniswärter auf ihrer langen Reise

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