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Heiß wie der Steppenwind

Heiß wie der Steppenwind

Titel: Heiß wie der Steppenwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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werden! Eine kleine Idiotin … aber an der Universität von Chabarowsk hat sie alle Prüfungen mit der Note sehr gut bestanden. Dobronin stützte das Kinn auf beide Hände. Ein geheimnisvolles Weib mit dem Körper einer Elfe. Aber im Hirn, leider, leider die blaue Wolke des Phantasten. Doch Workuta wird sie heilen. Workuta hat bisher alle Idioten bekehrt. Dobronin griff zum Telefon und rief die Abteilung II des Krankenhauses an.
    »Anna Stepanowna, mein Täubchen«, sagte er und ärgerte sich wieder, daß seine Stimme nicht männlich-sonor klang. »Dunja Dimitrowna – du weißt, wir haben über sie gesprochen – ist auf dem Wege zu dir. Behandle sie wie Porzellan … das Zerschlagen kommt später. Wir versammeln uns heute abend alle in deinem Zimmer. Das blonde Schwälbchen soll sehen, wie heiß wir hier den Winter überleben.«
    *
    Das Zimmer, das Anna Stepanowna nach einer herzlichen Begrüßung Dunja gegeben hatte, lag zur Wäscherei hin. Anna Stepanowna war ein dralles Mädchen aus Kiew, Spezialistin für Urologie, eine Ärztin am Anfang ihrer Karriere, aber bereits schon zerbrochen am System.
    »Man rutscht schnell hinunter«, sagte sie, als Dunja im Ärztebad heiß geduscht und den Schicht auf Schicht liegenden Schmutz der wochenlangen Eisenbahnfahrt abgelaugt hatte. Eine Strafgefangene schnitt ihr das zu lang gewachsene Haar etwas kürzer, eine andere, ein schweres Weib mit Riesenbrüsten, die aus dem offenen grauen Kittel hervorquollen, rieb Dunjas nackten Körper mit einem stinkenden, desinfizierenden Öl ein. »Eine einzige Studentendemonstration habe ich mitgemacht, bin unter einem Transparent hermarschiert und habe ›Mehr Freiheit für die Wissenschaft‹ gebrüllt, ich Idiotin … nun habe ich sie, die Freiheit. Zehn Jahre wegen Zersetzung. Im zweiten Jahr bin ich jetzt hier. Aber ich werde begnadigt werden, das ist sicher. Ich lege mich zu jedem ins Bett, der wichtig ist.«
    Später stand Dunja am Fenster ihres kleinen Zimmers, das rauhe Kittelkleid scheuerte über ihre Haut, wie ein Sack war's und verformte ihren Körper völlig. Anna Stepanowna schenkte ihr einen gedrehten Lederstrick. Ihn band sie als Gürtel um die Taille, und als sie aus dem Reisesack ein mongolisches, besticktes Stirnband holte und um die Haare schlang, klatschte Anna in die Hände.
    »Du bist immer schön«, sagte sie. »Mein Täubchen, das ist in Workuta ein unerschöpfliches Kapital. Das ist harte Währung.«
    Dunja blickte aus dem Fenster. Gegenüber lag die Wäscherei. Hier gingen die großen Öfen nie aus, stieg der Rauch ohne Unterbrechung aus den beiden hohen Schornsteinen, marschierten die Wasch- und Bügelbrigaden in drei Schichten durch das breite Tor. Der Schmutz von Tausenden von Häftlingen wurde hier herausgekocht. Der Dreck und der Schweiß, die Tränen und das Blut.
    Anna Stepanowna hatte Dunja dieses Zimmer bewußt gegeben. Der Ausblick auf diese Fabrik der Sauberkeit, in der wie zum Hohn Halbtote für zivilisierten Glanz sorgten, nagte an den Nerven. Außerdem gab es in diesem Zimmer keine Gardinen und keine Läden, und auch der Verschluß des Fensters war defekt. Man konnte es leicht von draußen aufstoßen … das war schon etwas wert, wenn das Zimmer von innen her verschlossen war.
    »Bis morgen früh hast du frei«, sagte Anna Stepanowna. »Für den Abend lade ich dich ein zu mir. Einen Begrüßungsschluck wollen wir trinken. Auch die anderen Kolleginnen sind nett. Was hat Dobronin gesagt?«
    »Er ist ein Schwein«, sagte Dunja hart.
    Anna Stepanowna lachte laut. Sie saß auf Dunjas Bett, und als sie sich jetzt lachend zurückwarf, sah Dunja, daß Anna unter dem Kleid keine Wäsche trug.
    »Wir alle sind Schweine«, lachte die Stepanowna und zog die Beine an. »Das ist die neue Form des Überlebens. Begreifst du es noch nicht, bist du blind? Du bist nach Workuta versetzt worden, um stellvertretende Chefärztin zu werden. Das steht in deiner Akte. Was aber macht Dobronin mit dir? Wo steckt er dich hin, der große Dobronin, der König von Workuta? Zur Selektion. Zum mistigsten von allem Mist, zur gemeinsten aller Gemeinheit, wo du vergessen mußt, daß du Arzt bist. Du bist ein Schlächter, der statt des Beils ein Stethoskop benutzt. Aber das wird sich ändern, wenn du bei ihm im Bett gelegen hast.«
    »Darauf kann er warten wie auf den Jüngsten Tag.«
    *
    In der Wäscherei war die zweite Schicht der Waschbrigade einmarschiert. Armselige Gestalten, in Wattejacken und Stepphosen vermummt, an den Füßen

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