Heiß wie der Steppenwind
was die Beamten in Chabarowsk wissen, und so strich man Ust-Bereneck hinter deinem Namen aus und setzte dafür Workuta hin. So einfach war das, dich endgültig von deiner kleinen blonden Hure wegzuholen … Zwischen Workuta und Irkutsk liegen Sonne, Mond und Sterne …«
»Welch ein Irrtum, Marianka Jefimowna!« Pjetkin hielt ihre Hände fest, die unter dem Hemd abwärts zu seinen Hüften glitten. »Dunja ist in Workuta. Mit dem gleichen Transport sind wir gekommen.«
Ihre Hände zuckten zurück, krallten sich in seine Schultern und rissen ihn herum. Welche Augen, durchfuhr es Pjetkin. Welcher Glanz des Hasses! Sie ist ein Wunder an Zerstörung.
»Lüge –«, sagte sie mit ihrer gefährlichen Sanftmut. »Dunja ist die zweite stellvertretende Chef-Ärztin der Inneren Abteilung im Frauenlager.«
»Diese Idioten!« Mit einem plötzlichen Ruck zog sie ihn an sich, er verlor das Gleichgewicht, taumelte gegen sie, ihre Arme umfingen ihn, hielten ihn fest wie mit Klammern, und ehe er den Kopf wegdrehen konnte, küßte sie ihn auf den Mund. Verwundert stellt er fest, daß Mariankas Stimme so nüchtern klang, als habe sie bisher nichts anderes getan, als Kritik geübt. »Man sollte den Planungsabteilungen neue Hirne einsetzen dürfen. Aber was nützt es dir, Igorenka … du wirst dieses blonde Zicklein nie wiedersehen.«
*
Marianka Dussowa, das zeigte sich schnell, war im Zentrallager von Workuta gefürchteter als Typhus und Cholera zusammen. Obgleich sie nichts tat als Listen ausfüllen und Meldungen schreiben und hier und da einmal eine Untersuchung vornahm, schob man ihr alles zu, was ihre vierundzwanzig Ärzte taten. Eigentlich hatte sich nichts geändert seit dem Auftauchen der Dussowa. Der Tod war Bettgenosse in den Baracken seit Bestehen des Lagerkomplexes – der größte vielleicht in der Sowjetunion und sicherlich auch der berüchtigste – aber bisher hatte es hier einen alten, immer besoffenen Chefarzt gegeben, dem man nichts übelnahm, weil er selbst ein Idiot war. Nun aber war eine Frau für alles Medizinische verantwortlich. Nein, es hatte sich nichts in Workuta geändert. Gerade das war es, was man der Dussowa zum Vorwurf machte. Pjetkin erkannte diese Feindschaft überall. Marianka hatte ihm sein Zimmer gezeigt. Es lag nicht wie die Zimmer der anderen, als Sträflinge arbeitenden Ärzte – neunzehn waren es – an einer Baracke neben dem Lazarett, das einem großen Krankenhaus glich, sondern im rankenhaus. Auf dem gleichen Flur wie das Zimmer der Dussowa. Einen Kampf wird es wieder geben, dachte Pjetkin, als die Dussowa ihm den kargen Raum zeigte. Sein armseliger Reisesack lag schon auf dem weißbezogenen Bett … Ein weißes Bett … Luxus in der Hölle. Pjetkin lächelte schief.
»Der Kommandant wohnt nicht besser«, sagte Marianka stolz und setzte sich auf die Bettkante. Das Bündel schleuderte sie in die Ecke. »Vielleicht begnadigt man dich nach sechs Jahren … dann wirst du ein kräftiger Kerl sein, überlaß das mir. Ich werde dich der sozialistischen Medizin erhalten.«
»Sie sind mächtig, Marianka Jefimowna.« Pjetkin ging zum Spiegel und erschrak vor seinem Bild. Ein Gespenst starrte ihn an … hohlwangig, ein Gestrüpp von Stoppelhaaren, tiefe, gerötete Augen, ein Mund, von Furchen umgeben … die Maske der Erniedrigung. »Aber Sie rennen gegen ein Schicksal an! Wer kann das schon? Ich verlange meine Ausreise nach Deutschland.«
»Ohne Dunja?«
»Mit Dunja!«
»Man sollte dir den Kopf abschlagen.«
»Alles kann man mir verbieten … den Gedanken an Stalin, den Glauben, wir seien ein freies Volk, das Wort Wahrheit und den Begriff Menschenrecht … alles kann man unterdrücken, nur die Liebe nicht.«
»Du bist ein Idiot, Igorenka. In Workuta hört jeder auf, sich um seine Seele zu kümmern. Der Leib ist das einzig Wichtige.« Sie lehnte sich im Bett zurück. Bluse und Rock spannten sich um den kräftigen Körper. »Gefällt dir das Zimmer?«
»Es ist eine einseitige Bevorzugung. Ich bin nicht mehr als die anderen. Ein Stück Dreck.«
Marianka sprang auf und bewegte sich auf die Tür zu. Sie drückte die Klinke herunter und öffnete und schloß sie schnell.
»Sie hat kein Schloß. Sie wird immer offen sein.«
»Man kann den Schrank davorschieben.«
»Dann werde ich dich ausprügeln lassen, bis du bewegungslos bist, und dann deine Wunden küssen, bis sie sich schließen …«
»Wir werden das nicht überleben«, antwortete Pjetkin heiser.
Es war ein Augenblick, in dem sie sich
Weitere Kostenlose Bücher