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Heiß wie der Steppenwind

Heiß wie der Steppenwind

Titel: Heiß wie der Steppenwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Oblomow erschöpft nach unten gegriffen und aus einer kleinen Flasche mit 100 Gramm Wodka einen tiefen Schluck genommen hatte. »Probieren Sie es mit mir. Ich habe früher mit Leichen hantiert, warum soll ich jetzt nicht Schwiegermütter trösten?«
    Es war eine Bemerkung, die Oblomow sehr gefiel. Er lachte laut und nickte mehrmals.
    »Versuchen wir es probeweise, Genosse. Wie heißen Sie?«
    »Marko Borissowitsch Godunow.«
    »Mein Gott, ist das wahr?« Oblomow verschluckte sich und hustete heftig. Marko hatte große Lust ihn jetzt zu erschlagen. Aber der Gedanke an Pjetkin hielt ihn vor solch gerechten Taten zurück.
    Was soll man sagen, – Marko bekam den Posten eines Arrangeurs im Heiratspalast von Workuta. Er bezog eine Dachkammer, die zwar nicht beheizbar war, aber Oblomow lieh ihm aus dem Magazin vier Wolldecken, unter denen Marko in der ersten Nacht schwitzte wie ein frischer Käse. Am Morgen erhielt er einen dunklen Anzug, der ihm zwar viel zu groß war, aber ihn erstaunlich in einen fast normalen Menschen umwandelte. Man bedeckte seinen Kopf mit einer Mütze, und Oblomow sagte zufrieden: »Die Fassade macht es aus! Legen Sie los, mein lieber Godunow. Wir haben heute neun Hochzeiten …«
    Man soll's nicht glauben, aber Arrangeur ist ein wichtiger und verantwortungsvoller Posten. Dauernd ist man auf den Beinen, kommt kaum zu Atem, denn die Trauungen rollen herein wie auf dem Fließband, und da jeder Mensch anders ist und die Verwandtschaft erst recht, hatte Marko die fast artistische Aufgabe, immer die richtigen Worte und Bemerkungen zu finden. So rannte Marko also durch den Heiratspalast und betreute die Brautpaare.
    Am zweiten Tag waren es schon vierundzwanzig, denn die großen Feiern zum Tage von ›Väterchen Frost‹ standen vor der Tür und erzeugten eine Welle von Heiratslust, ein brodelndes Liebesbegehren. Marko übertraf sich selbst. Er rückte Stühle, drapierte Papiergirlanden und garnierte die Tische mit künstlichen Blumen, bediente das Grammophon, auf dem sich die Platte mit dem Hochzeitsmarsch aus ›Lohengrin‹ drehte, reichte den ergriffenen Verwandten Wasser und erholsame Getränke wie Tee mit Wodka, unterhielt während der Trauung die draußen wartenden anderen Hochzeitsgesellschaften und ermahnte die nervösen Bräute, später eine Tablette gegen die Nerven zu nehmen. Oblomow hörte nur Gutes über Marko.
    Am vierten Tag heiratete ein Offizier des Straflagers I, ein Leutnant Zablinsky. Stolz führte er seine Braut, die Tochter eines Meteorologen von der Wetterstation Workuta, vor den Standesbeamten.
    Für Marko schlug die große, ersehnte Stunde. Das Schicksal spielte ihm den Zufall zu.
    Wie ein Staubkorn an einen Anzug hing sich Marko an diese Hochzeit. Er jonglierte mit Papierblumen, sang die Melodie des Hochzeitsmarsches mit, wobei sich herausstellte, daß seine Stimme sonor klang und sogar Timbre besaß, kurzum, Zablinsky nahm ihn mit zur Hochzeitsfeier, als ein Kuriosum, als Hofnarr, als sprechende Puppe, so wie in Rußland die Narren stets zum liebsten Spielzeug für die Normalen wurden. Marko bot alles auf, was sein reiches Gehirn produzieren konnte. Er erzählte Witze, bis den Gästen das Zwerchfell dröhnte, tanzte einen Krakowiak auf seinen dünnen Spinnenbeinchen, daß allen vor Wonne die Tränen in die Augen schossen, und als er schließlich hinfiel, übergoß man ihn mit Wein und vergaß ihn, je später es wurde.
    Marko aber blieb munter. Er war der einzige, der noch auf den Beinen stehen konnte, als Zablinsky seine junge Frau zum Brautbett führte. Marko watschelte vor ihnen her, eine Kerze in der Hand, und an der Tür zum Schlafzimmer umarmte Zablinsky ihn und sagte: »Du bist ein echter Freund, Marko. Jetzt aber weg … ich habe noch vieles vor.«
    Am nächsten Tag zeichnete Zablinsky seinen neuen Freund aus – er nahm Marko mit in das Straflager.
    *
    »Ein ganz besonderes Wohlwollen ist das«, betonte Zablinsky. Er dehnte sich, und schien auffällig weich in den Knien. So ein junges Eheleben strengt an, man soll's nicht glauben. Marko war zu Zablinsky gekommen, bevor dieser seinen Dienst antrat. Das junge Frauchen lag noch im Bett, aalte sich wohlig, trank Tee aus einer flachen chinesischen Porzellanschale, knabberte Gebäck, das von der Hochzeit übriggeblieben war und schlug den Morgen damit tot, sich an die Nacht zu erinnern. Das waren gute Gedanken, sie rief mit süßem Stimmchen: »Antonuschka, mein Bärchen, komm zu mir, gib mir einen Kuß … Komm doch, mein

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