Heiß wie der Steppenwind
Wilder, ich liege da wie aus dem Himmel gefallen …«, was Zablinsky zur fast panischen Eile trieb.
»Gehen wir!« sagte er leise zu Marko. »Wir sind eigentlich schon weg. Leise mit der Tür! Nicht zuklappen lassen! Vorsicht! Die Dielen knarren! Mein lieber Marko Borissowitsch, meine Röhrenknochen sind leer. Und wie sanft war sie vor der Ehe. Wenn ich sie berührte, ihre Brust streichelte, ihr Knie betastete, dann machte sie: ›huch‹, wurde rot und schlug die Augen nieder. Und jetzt so etwas!«
Sie verließen auf Zehenspitzen die kleine Wohnung, zogen die Tür ganz vorsichtig ins Schloß.
»Sie Glücklicher«, sagte Marko und knipste mit spitzen Fingern einige Staubkörner von Zablinskys Uniform. »Junge, ein wunderhübsches Frauchen, unersättlich wie ein Biber, immer ein offenes Bett … Gott hat Sie gesegnet. Ich weiß, es gibt keinen Gott, aber wenn es einen gäbe, wäre er auf Ihrer Seite. Was habe ich dagegen verpaßt?! Sehen Sie mich an! Kann mich eine Frau lieben?«
Zablinsky betrachtete den häßlichen Zwerg mit dem Riesenkopf und der Glatze, den krummen Beinen und den langen Armen. So viel Häßlichkeit war fast schon schön.
»Für jeden Mann gibt es eine Frau. Auf den verbogensten Topf paßt immer noch ein Deckel. Aber du hast recht, Marko Borissowitsch: Ich bin ein glücklicher Mensch. Darum zeige ich dir jetzt das Lager. Wir haben hier eine besondere Attraktion.«
»Ich bin gespannt, Genosse Leutnant.«
Sie gingen durch den Neuschnee hinüber zum großen Lagertor. Vom Meer her wehte ein Wind und trieb die leichte obere Schicht des Schnees wie Staub über das Land. Rechts von ihnen quoll aus drei hohen Schornsteinen dicker Qualm in den fahlen, farblosen Himmel. Die Wäscherei im Frauenlager.
Marko blieb stehen und sah kurz hinüber. Dort ist Dunja. Wie kommt man an sie heran? Das Männerlager habe ich bereits durchlöchert … aber dort wird es schwer sein, auch nur einen Blick über die Palisaden zu werfen.
Die Wache am Tor grüßte, musterte Marko kritisch, sagte aber nichts. Die Arbeitsbrigaden waren bereits abmarschiert … Im Inneren des großen Lagerbereiches war der Innendienst voller Betriebsamkeit. Die Kapos schrien herum, schlugen mit Knüppeln auf geduckte Rücken und ließen die grauen, unförmigen Gestalten hin und her springen. Vor dem Krankenhaus standen im Schnee, mit bloßem Schädel, die Steppmützen in der Hand, den kahlgeschorenen Kopf schutzlos dem Schneewind ausgeliefert, die Kranken, die die morgendliche Selektion überstanden hatten und nun auf eine Behandlung warteten.
Überall das gleiche, dachte Marko, aber er tat so, als sei das alles neu. Mit großen Kinderaugen blickte er sich um, als sähe er in eine neue Welt. Zablinsky stieß ihn an. »Verschluck dich nicht am Staunen«, raunte er. »Unsere Attraktion ist ein neuer Arzt.«
»Ach!« sagte Marko. Sein Herz machte einen schmerzhaften Sprung. »Was Sie nicht sagen, Genosse Leutnant. Ein Arzt? Wieso?«
»Er ist als Verurteilter hier, aber man packt ihn an, als bürste man Samt. Irgendwie reicht seine Antenne bis Moskau. Das macht uns alle vorsichtig, verstehst du? Außerdem hat ihn der Chefarzt sofort mit Beschlag belegt – was das heißt, wirst du gleich sehen.«
Zablinsky lenkte seine Schritte hinüber zum Magazin. Marko folgte ihm zögernd, sie entfernten sich vom Krankenhaus.
»Operiert wie in einer großen Klinik, der neue Arzt. Die anderen Ärzte stehen um ihn herum, bestaunen ihn wie ein Kalb mit drei Köpfen und begreifen die Welt nicht mehr. Macht er doch Krebsoperationen! In einem Besserungslager! Schneidet die Tumoren heraus und stellt Anträge, die Operierten in einem Strahleninstitut weiterzubehandeln. Zuerst turnte der Genosse Oberst auf dem Kopf, als er das erste Schreiben in die Hände bekam. ›Ich mache mich lächerlich!‹ brüllte er. ›Wo sind wir denn hier?‹ Aber dann schickte er das Schreiben doch ab. Und was soll man sagen? Gestern kam die Antwort: Der Verbannte Grigorij Stepanowitsch Lumkow wird auf der Krebsstation von Perm weiterbehandelt. Nur, wie er dahin kommt, das schreiben sie nicht. Jetzt weiß man nicht genau: Ist der Doktor ein Spinner, ein Dickschädel, ein Aufsässiger oder bloß ein harmloser Idiot?«
Mein Igorenka, dachte Marko fröhlich. Da haben sie es! In den Boden wollten sie dich stampfen, ans Ende der Welt versteckten sie dich, und was macht der verrückte Pjetkin? Er bläst ihnen in die Ohren, daß das Schmalz knirscht. Bravo, mein Wölfchen … mein Herz
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