Heiß wie der Steppenwind
Warte in der Wache auf mich. Sieh dir alles an … heute ist für dich ein besonderer Tag.«
Das wird er sein, dachte Marko. Er lehnte sich an die Mauer des Krankenhauses, wartete ein paar Minuten, sah den Kranken zu, die sich zur Untersuchung langsam ins Haus schoben, schneebestäubt wie Brezelmännchen mit Zuckerguß, überlegte dabei, was man für Igor Antonowitsch tun konnte und vertrödelte so die Zeit bis zum Mittagessen. Er schlenderte im Lager herum, eckte ein paarmal mit Kapos an, die ihn anschrien, was er hier zwischen den Baracken zu suchen habe, worauf er antwortete: »Ich suche einen Scheißhaufen, einen großen, fetten Scheißhaufen, um ihn dir, Brüderchen, in das dämliche Gesicht zu schmeißen!«
Das ergab immer eine wilde Diskussion, bis Marko drohte, Zablinsky zu rufen. Da ließ man ihn in Ruhe, beäugte ihn argwöhnisch, beobachtete ihn von weitem, denn ein Spitzel im Lager ist schlimmer als hundert Filzläuse. Man registrierte, daß der häßliche Mensch während der Mittagspause in der Fleischerei verschwand.
»Wo ist der Natschalnik?« fragte Marko den ersten Schlachter. Der hockte auf dem Rand einer riesigen verzinkten Wanne voller Knochen und aß ein Stück Blutwurst aus der Faust. Er streckte die Hand aus, hielt Marko das köstliche Stück Wurst unter die schnuppernde Nase und sagte grob: »Vierte Tür rechts.«
Er war ein unhöflicher Mensch. Marko bestrafte ihn, indem er schnell zugriff, ihm die Wurst entriß und sofort in den Mund stopfte. Bevor der Bestohlene noch einen Laut von sich geben konnte, hatte Marko die Blutwurst hinuntergewürgt.
»Fang nicht zu schreien an, Genosse«, sagte er und rülpste laut. »Die Wurst ist weg, und wenn du sie wiederhaben willst … im jetzigen Stadium würdest du sie doch nicht mehr essen …«
Mit offenem Mund starrte der Schlächter dem Zwerg nach. Dann griff er in die Zinkwanne, holte einen dicken Beinknochen heraus und warf ihn Marko nach. An Godunows kahlem Schädel sauste er zentimeterbreit vorbei und schlitterte dann über den Flur.
Der Natschalnik der Lagerfleischerei, der Genosse Jewronek, ein dicker Mensch mit Tränensäcken, senkte den Stierkopf, als Marko ins Zimmer kam. Jewronek lag auf seinem Bett, verdaute, las dabei die Prawda und buhlte mit dem Zeigefinger nach einer Fleischfaser, die sich irgendwo hinten zwischen Zähnen verklemmt hatte.
»Ein kurzes Gespräch nur, Genosse«, sagte Marko höflich. »Man hat mir berichtet, daß der Bürger Jewronek ein gutes Herz hat.«
Der Dicke richtete sich auf, betrachtete Marko eingehend, verzog dann sein Ochsengesicht, dann lachte er dröhnend, hieb sich auf die Oberschenkel, die mit Stoff bezogenen Walzen glichen, und brüllte:
»Man soll es nicht für möglich halten … jetzt bitten sogar die Kakerlaken um eine Audienz!« Jewronek knallte die Beine auf die Dielen und spuckte die herausgepolkte Fleischfaser aus.
»Wer hat Ihnen einen Mord gewünscht, he? Jeder, der Jewronek kennt, weiß, daß ihm die Mittagsruhe heilig ist! Was heißt: ein gutes Herz? Eine gute Faust habe ich … überzeugen Sie sich davon, Genosse!«
Er war aufgesprungen, rollte die Muskeln und streckte Marko eine Faust entgegen, um die er herumgucken mußte, um Jewronek überhaupt wieder zu sehen.
»Man sollte sich einmal überlegen«, sagte Marko, »daß wir im Atomzeitalter leben …«
Jewronek blieb mitten im Schritt stehen, als laufe er gegen eine Wand. Entgeistert starrte er den Zwerg an. »Wieso?« murmelte er. »Wieso denn?«
»Benutzen wir Atomkraft oder nicht?«
»Ja, natürlich.«
»Fliegt man ins Weltall? Wollen Sie Gagarin verleugnen?«
»Um Himmels willen – nein. Gagarin, das ist die Krone sozialistischen Fortschritts! Aber was soll Gagarin zwischen uns?«
»Alles, Genosse! Das Symbol des Fortschritts! Der Triumph des Denkens! Die Verpflichtung, auf allen Gebieten durch Einsatz von Intelligenz das Optimale zu erreichen.«
Jewronek begann zu schwitzen. Er fühlte sich überfordert, zumal er nicht wußte, was dieses merkwürdige Wesen, das wie ein Mensch sprach, überhaupt von ihm wollte. Wo kam es her? Wie hatte er das Lagertor passiert?
»Intelligenz – das ist es«, sagte er laut. »Aber ich leite kein Rechenzentrum, sondern eine Fleischerei.«
»Welch ein Irrtum!« Marko riß beide Arme hoch. Das kam so plötzlich, daß Jewronek zurückschrak. »Ist eine Fleischerei nur ein Betrieb, wo man Tiere vor die Stirn schlägt, sie zerteilt und ihre Knochen zersägt? Sagen Sie, Genosse, haben Sie
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